Premiere im Hans Otto Theater: Die große Verwirrung
Was für ein Gockel und was für ein Naivling. Was für ein Püppchen und was für eine herrliche Zicke. Was die vier verbindet? Das Dilemma Liebe. Oder das, was sie dafür halten. Im Hans Otto Theater hatte Shakespeares Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ Premiere.
Stand:
Da haben wir Petruchio, den Gockel, der vor Selbstbewusstsein kaum laufen kann. Ein Bock, Großmaul und Schaumschläger in XXL. Aber clever ist der Kerl, clever. Und dann haben wir da Lucentio, den Naivling. Ein Jungspund, bei dem bis vor Kurzem noch die Pickel sprossen. Kaum läuft ihm ein hübsches Mädchen über den Weg, macht plinker-plinker mit den Augen, wackel-wackel mit dem Hintern, ist es um den armen Kerl geschehen. Das Aas Liebe hatte hier ein leichtes Spiel. Sie drückt Lucentio eine grellbunte, billige Plastikblume ans Herz und der vor Hormonstau nur noch Schielende glaubt, an einem paradiesischen Blumenmeer zu schnuppern. Schuld daran ist Bianca, das Püppchen. Ein ganz braves und äußerst berechnendes Töchterchen, das sehr wohl versteht, die Herren der Schöpfung spielend um ihre Finger zu wickeln. Derartiges würde ihrer Schwester Katharina nie einfallen. Ganz im Gegenteil, dieses Frauenzimmer, diese herrliche Zicke scheint jeden Morgen zuerst einen Eimer Tabasco-Soße zu trinken, damit sie tagsüber ordentlich Feuer spucken kann. Und das mit Vorliebe und besonders intensiv in Richtung der Herren der Schöpfung.
Wie sich das dann neckt und kratzt und beißt, umgarnt, attackiert und prügelt und am Ende dem Raubtier Liebe den Buckel tätschelt, ist derzeit im Gasometer des Hans Otto Theaters zu erleben. Das diesjährige Sommer-Open-Air ist Shakespeares Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ gewidmet. Am Freitag war Premiere. Ein herrlich humorvoller Abend mit lustvoll agierenden Schauspielern. Aber auch ein Abend mit Widerhaken, mit Ecken und Kanten, vor allem was die Beziehung zwischen Petruchio und Katharina betrifft.
Wir sind im schönen Padua, vor der Tür des Hauses von Baptista, einem Edelmann mit zwei Töchtern im heiratsfähigen Alter. Um die brave Bianca, seine jüngste Tochter, bemühen sich Gremio, Hortensio und unser Naivling Lucentio. Um die zänkische Katharina machen sie alle einen großen Bogen. Aber Vater Baptista stellt die Bedingung, dass Bianca nur dann heiraten darf, wenn auch für Katharina ein Ehemann gefunden ist. Als Biancas Freier schon resignieren wollen, weil sie glauben, selbst der Teufel würde vor Katharinas bösartiger Zunge Reißaus nehmen, betritt Petruchio die Bühne. Und wie er die betritt!
Dennis Herrmann spielt diesen Petruchio. Er steigt mit Gebrüll und Getöse vom oberen Rand des Gasometers hinab. Ein Satan durch und durch als Geschenk des Himmels. Kaum steht er auf der Bühne, gehört das Spielfeld ihm. Nach Padua ist er gekommen, um ein Weib zu finden. Es geht ihm nicht um Liebe, Hauptsache die Mitgift stimmt. Denn Petruchio hat längst erkannt, dass die Liebe fast immer nur grellbunte, billige Plastikblumen zu bieten hat. Herrmann spielt mit Furor. Ein Elefant im Porzellanladen der Gefühle. Einer, der um seine Wirkung weiß und den nichts überraschen kann, denn er hat keine Erwartungen. Ein Außenseiter, der mit großer Klappe durchs Leben tobt. Sich als Obermacho gibt in einer Welt, die von Machos geprägt wird. Dann betritt Katharina die Bühne und ein Blick zwischen den beiden genügt.
Es sind ja zwei Arten von Liebe oder Beziehungsideen, die Shakespeare in seiner Komödie ausstellt. Da trifft das Naive auf das Berechnende, also Lucentio auf Bianca. Und das Abgeklärte auf das Abgeklärte, also Petruchio auf Katharina. Zwei, die den gesellschaftlichen Konventionen nicht entsprechen wollen. Beide bleiben sie unverstanden. Doch während Petruchio durch seine polternde Art die Leute zwar vor den Kopf stößt, erzeugt das kaum Ablehnung. Ganz im Gegenteil, er gilt in der patriarchalischen Gesellschaft als der Teufelskerl, der sich was traut. Katharina dagegen, die einfach nur ihren eigenen Weg gehen möchte, stößt auf rigorose Ablehnung und verbittert darüber. Bis sie auf Petruchio trifft, der diese Widerspenstige zähmt, indem sie auch ihn zähmt.
Regisseur Andreas Rehschuh zeigt zwei Menschen, die dem gesellschaftlichen Leben mit großer Skepsis begegnen. Und die, als sie erkennen, dass die billige, grellbunte Plastikblume Liebe schön aussehen und sogar gut riechen kann, verwirrter sind als vorher. Vor allem Melanie Straub spielt diese Verwirrtheit äußerst facettenreich. Selbst in ihren kratzbürstigsten Attacken ist eine leichte Unsicherheit darüber spürbar, ob das gesellschaftliche Denken wirklich so verkrustet sein kann. Und wie sie dann mit Petruchio ringt, mit ihm spielt, sich scheinbar ergibt, um ihm dann anständig Paroli bietet. Selbst am Ende, in dem berühmten Monolog Katharinas, den Rehschuh hier als Verballhornung jeglicher Geschlechter- und Beziehungsklischees spielen lässt, bleibt eine Ambivalenz spürbar, die dem Zuschauer keine klaren Antworten liefert, sondern ihn herausfordert, sich mit dieser Verwirrtheit auseinanderzusetzen. Dazwischen die herrlichsten Verwechslungen und gemeinen Spielerchen, die dieser Komödie die Würze geben und in der Potsdamer Inszenierung allein schon den Abend lohnen.
Ob Bernd Geiling als Baptista und Diener Grumio, Axel Sychrovsky als Hortensio, Diener Biondello und Magister, Jon-Kaare Koppe als Gremio, Vincentio und Schneider und Philipp Mauritz als Tranio, Curtis und Witwe, was die mit Lust und Witz und größter Spielfreude auf die schlichte, an ein Wandertheater erinnernde Bühne (Jan Steigert) bringen, ist herrliches Komödientheater. Dem Naivling Lucentio, den Maximilian Klas wunderbar mit einer fast schon penetranten Verliebtseinglückseligkeit spielt, klingt das alles wie herrlichster Engelsgesang. Aber er wird schon noch erkennen, was die Liebe ihm da für ein seltsames Plastikgewächs angedreht hat. Doch dann ist es zu spät. Denn jetzt hängt ihm das Biest Ehe an der Kehle.
Dirk Becker
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