Kultur: Die große Welt in ein paar Liedern
Dieser Tango hat seinen eigenen Pulsschlag. Etwas unterschwellig, lauernd noch.
Stand:
Dieser Tango hat seinen eigenen Pulsschlag. Etwas unterschwellig, lauernd noch. Denn zuerst ist da nur diese oberflächliche Kühle, unter der es aber schon zu pulsieren scheint. Thomas Gustavssons Klavier gibt den Takt vor, etwas spröde und ein wenig wie sich im Kreis drehend. Josef Kallerdahls Kontrabass kommt dazu, dann Livet Nords Geige, Johanna Dahls Cello und Peter Grans Gitarre. Doch noch stellt sich dieses Tier schlafend, die Augen geschlossen. Nur sein Atem aus den fünf Instrumenten ist zu hören. Und dann erhebt es sich mit den ersten Tönen aus Per Störbys Bandoneon. Ein schönes, ein eigenwilliges Tier, das jetzt durch den großen Saal in der „fabrik“ schleicht, als wolle es ein neues Revier abstecken. Dabei ist es hier doch längst schon zu Hause.
Das Tango-Tier, das am Wochenende vom New Tango Orquesta in der „fabrik“ von der Kette gelassen wurde, war hier schon zum fünften Mal zu erleben. Denn die vier Musiker um Per Störby sind seit Jahren immer wieder willkommene Gäste. Ihr Auftritt war der Auftakt zum großen Tango Argentino-Ball. Ein Auftakt, der zeigte, wie groß die Welt in ein paar wenigen Liedern sein kann.
Wie einst Astor Piazzolla in seine Tango-Kompositionen Elemente vom Jazz und der klassischen Musik einfließen ließ, so sind auch die Kompositionen des schwedischen New Tango Orquestas von einer Neugier und fast grenzenlosen Offenheit für die unterschiedlichsten Stile geprägt. Und so braucht es gerade einmal zwei Lieder an diesem Abend, bis sich der Kosmos des New Tango Orquestas in der „fabrik“ weit öffnet und den Zuhörer mitnimmt auf eine aufreibende und verwirrende, dann wieder schmeichelnde und verstörend schöne Reise. Ob nun barocke Elemente, ausgelassene Jazzimprovisationen oder die feinen Anspielungen auf die Wiederholungen in der „Minimal Music“, immer wieder taucht das Tango-Tier in diesen faszinierenden Kompositionen auf. Es ist mal ein wildes Treiben, ein förmlich aus allen Nähten platzen, dann wieder ein diszipliniertes und fast schon harmloses Spielen, das die Musiker auf der Bühne treiben. Ein Stimmengewirr der unterschiedlichen Instrumente, das sich immer wieder auf eine Gemeinsamkeit einigen kann: dem Tango.
Es ist vor allem Per Störbys Spiel auf dem Bandoneon, das die gekonnten und gefühlvollen Ausschweifungen seiner Mitmusiker zusammenhält und mit seinem unverwechselbaren Klang das typische Tangoelemente hineinmischt. Viel Freiheit und Sehnsucht, Farbe und Melancholie sind in den neuesten Kompositionen des aktuellen Albums „Vesper“ zu hören, das die Musiker an diesem Abend vorstellten. Und viel Tango, mit einem eigenen Pulsschlag, dem unnachgiebigen und fesselnden New Tango Orquesta-Pulsschlag. Dirk Becker
New Tango Orquesta: Vesper, Laika-Records / Rough Trade.
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: