Kultur: Die Groteske blieb aus
Premiere bei Comédie Soleil: Die Guillotine“ von Michael Klemm
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Soll Wiesel eine Maske tragen, sein Vorgesetzter Willy Himmel Kothurne, jene größermachende Bühnenschuhe, wie man sie aus antiken Dramen kennt? Schließlich war mit Michael Klemms schnell geschriebener Miniatur „Die Guillotine“ eine Groteske angekündigt. Das Zweipersonenstück in fünf Szenen ist zwar nichts Vollkommenes, aber wegen seines gedanklichen Ansatzes für die geplanten En-Suite-Aufführungen bis zum 9. April allemal einen Gang in die Comédie Soleil wert.
Nichts Geringeres wird darin abgeschafft als die heutige Welt- und Werteordnung, nachdem man mit der Zeit genauso gehandelt hatte. Ein deus-ex-machina-Brief, am Stahlseil von „der Technik“ abgeschickt, verkündet die Nichtigkeit sämtlicher Werte, an die nicht der gemeine Mann alleine glaubt. Auch Hoffnung gibt es: man wird nach einer neuen suchen. Dies trifft Scharfrichter Himmel (Michael Klemm) an seinem letzten Arbeitstag nun ganz besonders. Sich bereits auf seine Frührentnerschaft freuend, erwartet er soeben den unwiderruflich letzten Delinquenten für sein Fallbeil, doch der bleibt aus. Wie immer nach den 32 Jahren, steht ihm Gehilfe Wiesel (Detlef Brand) zur Seite, Fenster putzend, das Mordgerät ölend, stumm. Himmel monologisiert in 50 Minuten Aufführungszeit über sich und die Welt, wirft mit infernalischem Lachen dem Kahlen die Torte ins Gesicht, verfällt in einen Heulkrampf, alles sehr erstaunlich. Weil er die neuen Edikte irgendeiner Regierung nicht mehr versteht und sich sein Kompagnon mit Riesenschritten davonschleicht, endet das Spiel bei abdunkelndem Licht mit dem enttäuschenden Satz, er werde halt „darüber nachdenken“.
Du lieber Himmel, worüber nur, wenn alle philosophischen, religiösen, mythologischen und moralischen Werte falsch sind, und woher weiß man das eigentlich bei solchem Nihilismus? Theater darf so spielend fragen, das nämliche Absurde ist ja keine Potsdamer Erfindung. Es muss nur überzeugen. In Horst Wüsts Inszenierung ist das offensichtlich nicht der Fall. Michael Klemm trägt keine Kothurne, Wiesel keine Maske, und auch sonst gibt es Differenzen: Zwischen Text und Inszenierung, zwischen Regie und Rezeption. Comédie Soleil nennt diesen Abend rechtens ein Experiment, welchem weitere folgen sollen, aber warum wird eine Groteske angekündigt, dann ein Kammerspiel gegeben, warum der Raum nicht gespielt, die im Text behauptete vernichtende Sinnlosigkeit – niemandem ein Zuckerschlecken – für die Premierengäste nicht über die Rampe gebracht?
Requisiten wie Ball, Luftballon und eine blutverschmierte Fliege kommen zwar ins Spiel, bleiben aber für die Handlung, mehr noch für die Figuren, folgenlos.
Die Groteske schöpft ihre Kraft aus der Übertreibung, Slapstick aus der Situation, Lachen entsteht am besten aus der Verzweiflung, aber davon spürte man viel zu wenig.Und Wiesel, welchem Himmel einst die Stimmbänder durchtrennen ließ, damit er stumm bleibe? Detlef Brand trug Facetten vielerlei Emotionen in seinem Gesicht, gut und schön, wie die sphärische Interimsmusik, aber er war Stichwortgeber, mitnichten der Antagonist. Deshalb blieb Michael Klemm auch allein auf der stilisierten Bühne mit Schreibtisch, Fenster und einem herabknallenden Fallbeil, das fundamentale Problem von Welt und Zivilisation mehr intellektuell als theatralisch. Klar konnte Wiesel auf einmal doch sprechen, doch es war eine allgemeinmenschliche Deklamation, auch hier dramaturgisch ohne Bedeutung. Er lächelt hell oder finster, jedenfalls ohne Rachegedanken – dabei hätte man eher vermutet, er würde den gutbetuchten und todmüden Scharfrichter doch noch unter die namensgebende Guillotine zerren – trotz der soeben abgeschafften Todesstrafe. Will Theater konsequent (und wirklich grotesk) sein, so muss es, am angenommenen Ende der Welt, auch mit Mut geschehen. Hier war es zu zahm, nicht wirklich gefährlich.
Nächste Aufführungen 6. bis 9.4. jeweils 20 Uhr, Feuerbachstraße
Gerold Paul
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