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Kultur: „Die Haftzeit hat ihn nie losgelassen“

Morgen werden erstmals Horst Bieneks „Potsdamer Tagebücher“ von Tilman Urbach vorgestellt

Stand:

Herr Urbach, Horst Bienek hat sich in seinem schriftstellerischen Werk intensiv mit seinen persönlichen Erfahrungen im Potsdamer Untersuchungsgefängnis in der Lindenstraße und im berüchtigten sowjetischen Strafarbeitslager Workuta auseinandergesetzt. Morgen stellen Sie nun in Potsdam die bislang unveröffentlichten „Potsdamer Tagebücher“ von Bienek vor.

Horst Bienek hat von seiner Potsdamer Zeit an bis zu seinem Tod, also von 1949 bis 1990, Tagebücher geführt. Dabei handelt es sich um 35 Bände, 4200 handgeschriebene Seiten. In den „Potsdamer Tagebüchern“ beschreibt er vor allem seine Eindrücke von Bertolt Brecht, dessen Meisterschüler er ja war.

Und was schreibt Bienek über seinen berühmten Lehrer?

Diesen großen Literaten hat er mit einer Mischung aus Hochachtung und einem gehörigen Abstand erlebt.

Am 7. November 1951 wurde Bienek von der Staatssicherheit verhaftet und dem sowjetischen Geheimdienst in Potsdam überstellt. Nach sieben Monaten in Untersuchungshaft wurde er wegen „Sowjethetze“ und angeblicher „Spionage“ zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und kam 1955 frei. Wie sehr dominiert diese Erfahrung seine Tagebücher?

Die Haftzeit wird in diesen Tagebüchern nicht sehr stark thematisiert. Was ich aber mit nach Potsdam bringe, ist ein unveröffentlichtes Manuskript, an dem Horst Bienek in den letzten Monaten vor seinem Tod, in denen er noch schreiben konnte, gearbeitet hat. Sein Verleger hatte ihn da noch einmal aufgefordert, über sein Haft zu schreiben. Ungeschminkt und unliterarisch. Da finden sich sehr große Passagen über die Einzelzelle, über die Verhöre, über all das, was in der Lindenstraße passiert ist. Ein Zeitdokument, das Fragment geblieben ist.

Sie haben Horst Bienek persönlich gekannt. Wie stark haben den Menschen Bienek die extremen Hafterfahrungen geprägt, wie viel war davon noch spürbar?

Wer Horst Bienek näher kannte, der hat in den Gesprächen, in denen es um die Hafterfahrungen ging, sehr deutlich gemerkt, dass ihn das zeitlebens nicht mehr losgelassen hat. Deshalb war Horst Bienek aber nicht der zurückgezogene Literat, der nur im Elfenbeinturm lebte, sondern fester Bestandteil des literarischen Zirkels nicht nur in München, wo er bis zu seinem Tod lebte, sondern auch international. Als solcher war er auch mit allen Wassern gewaschen. Horst Bienek wusste, was seine literarische Arbeit wert war und er konnte auch sehr scharfzüngig über Kollegen urteilen.

Was eine beliebte Disziplin im Literaturbetrieb war und ist.

Ja, aber bei Bienek hatte das nicht mit Arroganz zu tun.

Sie sagen, Bienek wusste um den Wert seiner literarischen Arbeit. Der Leser von heute scheint das nicht mehr zu wissen, denn nicht umsonst ist die Veranstaltung in Potsdam mit „Die Wiederentdeckung eines vergessenen Autors“ überschrieben.

Ja, da haben Sie recht. Aber es gibt eine Initiative von einigen Leuten, die eine Ausstellungstournee durch deutsche Literaturhäuser planen, in der auch die Hafterfahrungen thematisiert werden. Das soll aber erst im kommenden Jahr stattfinden.

Ist denn eine Veröffentlichung zumindest eines Teils seiner Tagebücher geplant?

Da müssen Sie beim Hanser-Verlag nachfragen. Es gibt eine starke Komponente in den Tagebüchern, das ist Horst Bieneks Homosexualität. In seinem schriftstellerischen Werk können sie die kaum bemerken, findet sich dort nur in Andeutungen. In seinen Tagebüchern gibt Bienek diesem Thema aber sehr viel Raum. Und da stellt sich natürlich die Frage, ob man das veröffentlichen soll oder nicht.

Wie stand Bienek selbst zu einer möglichen Veröffentlichung seiner Tagebücher?

Horst Bienek hat die Tagebücher immer zur Veröffentlichung vorgesehen. Von Anfang an. Seine Vorgabe waren zehn Jahre nach seinem Tod. Nun sind mittlerweile schon 20 Jahre vergangen.

Und Sie glauben, es lohnt sich, diese Tagebücher zu veröffentlichen?

Auf jeden Fall! Horst Bienek war ein exemplarischer Autor des 20. Jahrhunderts. Er hat nicht nur Krieg und Vertreibung erlebt, sondern auch den Archipel Gulag und darüber hinaus die Tragödie Aids, die zu seinem Tode führte. Das sind drei Themen, die in seinen Tagebüchern sehr präsent sind, beschrieben aus der subjektiven Perspektive einer der wichtigsten Schriftsteller nach 1945 in Deutschland. Allein schon das ist meiner Meinung nach Grund genug, die Tagebücher herauszugeben. Bienek war ein Autor, der Geschichten erzählen konnte wie kaum ein anderer Schriftsteller in Deutschland.

Auch in seinen Tagebüchern?

Weniger in seinen Tagebüchern, sondern in seinem schriftstellerischen Werk. Er konnte einen ganzen Kosmos heraufbeschwören, beispielsweise in seinen vier „Gleiwitz“-Romanen, wie vor ihm nur Günter Grass, Uwe Johnson und andere große Autoren. Die Tagebücher sind da zwar nur als eine Art Zusatzinformation zu verstehen, aber mit sehr wichtigen Fakten.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Tilman Urbach spricht am morgigen Donnerstag, 19 Uhr, in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“ über Leben und Werk von Horst Bienek. Michael Schrodt, Schauspieler am Hans Otto Theater, liest aus den bislang unveröffentlichten „Potsdamer Tagebüchern“. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 4 Euro

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