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"Localize"-Festival in Potsdam: „Die Häuser in ein anderes Licht tauchen“

Soziale Kunst, nachhaltig: Die Performerin Gabi Reinhardt über ihr Drewitzer Balkonballett, das Freitagabend Premiere hat.

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Balkonballett heißt Ihr Projekt, das heute Abend zur Eröffnung des Localize-Festivals in der Konrad-Wolf-Allee gezeigt wird. Tanzen da wirklich die Drewitzer auf ihren Balkonen?

Wir tanzen wirklich, aber kein Ballett. Es ist ein Theaterabend mit Musik, klassischem Sprechtheater und Tanz. Das alles ist eingebunden in eine Erzählung über Drewitz, die recherchebasiert ist.

Das heißt, Sie haben in Drewitz recherchiert. Wie viel Zeit hatten Sie dafür?

Die gesamte Produktionszeit sind vier Wochen gewesen, was extrem kurz ist, eine große Herausforderung. Ich hatte also eine relativ kurze Recherchephase, um mit Leuten in Kontakt zu kommen. Aus dieser Zeit, aus dieser Wahrnehmung der Drewitzer heraus ist das Stück entstanden. Die Erzählung ist an das Thema von Localize angebunden, Ende und Anfang. Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die hier in eine leere Wohnung einzieht, weil sie einen Tapetenwechsel braucht. Und in dieser Wohnung Schichten von Tapeten an der Wand ablöst und mit dem Entdecken der Schichten auch die Menschen entdeckt, die hier gelebt haben. Das ist natürlich das Sinnbild für dieses Viertel.

Wer macht bei dem Projekt mit?

Es sind aktuell 34 Personen, die performen. Die Kammerakademie Potsdam wird das begleiten, wir haben eine Linedance-Gruppe dabei. Da liegt der Schwerpunkt des Tanzes zwar auf den Füßen, die von den Balkonen verdeckt sind, aber es sind uns schöne Sachen eingefallen, wie wir mit dieser Herausforderung umgehen. Cheerleader sind dabei. Wir arbeiten mit der Grundschule zusammen.

Sie alle wollten unbedingt mitmachen – oder bedurfte es intensiver Werbung, um sie zu animieren?

Die Reaktionen waren grundsätzlich sehr positiv, das hängt auch mit einer Haltung zusammen, die ich hier erlebt habe: Was, in zwei Wochen ist Aufführung? – Da machen wir mit!

Wie sah der vorgegebene Rahmen aus?

Ich hab das Stück geschrieben, es ist auf Grundlage dessen erstanden, was mir erzählt wurde. An einer Stelle orientiert es sich sehr stark an den Originaltönen, die mir die Drewitzer gegeben haben, an einer anderen Stelle bewege ich mich sehr weit davon weg. Es geht immer um Kontextualisierung.

So ein Theaterprojekt mit Bewohnern eines Plattenbauviertels hat zugleich etwas Befremdendes, womöglich Übergriffiges: Da kommt ein Künstler von außen und macht die Drewitzer zu Künstlern.

Das ist gar nicht meine Haltung. Was mit meiner Arbeit übereinstimmt, ist, dass ich von außen komme und das lässt sich nicht vermeiden. Das birgt natürlich auch den Vorteil, dass ich mit einem anderen Blick schaue und nicht mit den vorgefertigten Meinungen. Aber wenn am Ende niemand gesagt hätte, er würde mitmachen, dann wäre das die Erzählung gewesen. Die zwei Damen, die hier in den Häusern gewohnt haben, haben sich zum Beispiel sehr mit ihren Texten in ihrem Sprechpart identifiziert. Ich hatte oft das Gefühl, die Leute können etwas mit diesem Stück anfangen. Es ist auch eine Chance, wenn jemand von außen kommt und etwas mitbringt, was man nicht kennt.

Sie haben das Balkonballett bereits in Chemnitz und Köln in Hochhäusern inszeniert. Warum arbeiten Sie so gern in Hochhäusern und Plattenbausiedlungen?

Ich wünsche mir, Begegnungen im Stadtraum zu schaffen und ein gemeinsames Erleben von etwas Anderem. Und diese Häuser, die ich so schön finde, mal in ein anderes Licht zu tauchen.

Was finden Sie so schön an Plattenbauten?

Wir gucken verächtlich von außen – aber da entgeht uns ganz viel, weil das, was in diesen Häusern stattfindet, nichts anderes ist, als was im Altbau oder in der Villa stattfindet. Es ist ein schöner Kontrast: was ich außen wahrnehme und was innen stattfindet. Plattenbauten faszinieren mich seit Jahren, ich scharwenzele schon seit Langem um das Thema, schon in meiner Abschlussarbeit. Die Idee des egalitären gleichen Wohnens und wie diese uniforme Vorgabe individuell gefüllt wird, finde ich einfach faszinierend. 

Das Uniforme hat sich zu DDR-Zeiten bis in die Schrankwände und Durchreichen gespiegelt. Da war nicht viel Individualität.

Weil ich nicht in der Platte zu DDR-Zeiten gewohnt habe, habe ich nicht so viel Erfahrung damit, wie es damals war. Ich glaube aber grundsätzlich nicht, dass es uniformiert war, von alldem, was ich in den leeren Wohnungen gesehen habe. Für mich ist das eine schöne Projektionsfläche. Letztlich geht es immer darum, wie ich mir mein Umfeld gestalte, und damit meine ich nicht nur die Wohnung, sondern wie will ich leben, wie stelle ich mir Gemeinschaft, wie stelle ich mir mein Wohnen und Leben vor. Wenn ich dann das vermeintlich Uniforme habe, dann habe ich ja alle Möglichkeiten, es zu gestalten – und als Fläche dagegen zu gehen. Das sage ich aber aus der Position heraus, da nicht gelebt zu haben, das ist mir bewusst.

Was empfinden Sie als das Besondere an Drewitz?

Als die Idee zum Balkonballett entstand, das war ja in Chemnitz in einem Hochhaus mitten in der Stadt, habe ich festgestellt, dass es ein Hochhaus war, das sehr verschrien war, was ich überhaupt nicht so empfunden habe. Hier in Drewitz ist es ein ganzes Viertel. Oft werden die Menschen, die hier leben, in so eine Schublade gesteckt zu stecken. Wenn es uns gelingt, – und das ist ja auch das Anliegen von Localize – den einen oder anderen Potsdamer hierherzuholen und ihm zu zeigen, dass man hier auch wohnen könnte, wäre viel gewonnen. Diese Scheuklappen zu öffnen, das wäre schon schön.

Wie kam es zu der Verbindung mit Potsdam?

Localize hat mich eingeladen, wir haben uns in Chemnitz kennengelernt, dort gab es eine Kooperation mit Localize und reizvoll war für mich, dass ich hier zwei Wochen in der Platte lebe mit anderen Künstlern in den Originalwänden. Trotzdem geht es nicht darum, hier eine Künstlerenklave zu haben, sondern rauszutreten.

Und was bleibt von so einem Kunstprojekt?

Wir können vielleicht nur das: Impulse geben. Aber die Institutionen hier arbeiten weiter. Es ist hier ein Verständnis da, eine Haltung und eine Neugier, die das weitertragen wird. Natürlich hat es etwas von dieser Ufo-Nummer. Das beschäftigt mich schon seit Längerem und ich glaube, man muss das „Danach“ von Anfang an mitdenken, sonst ist es Schwachsinn. Meines Erachtens muss von Anfang an eine Verwebung mit den Strukturen da sein, um nachhaltig zu sein. In Chemnitz gibt es das Paradebeispiel: Wir hatten dort eine Band, Menschen, die in dem Haus wohnten, sich aber nicht kannten. Und die Leute spielen heute noch zusammen. Auch die Offenheit für neue Kunstprojekte ist viel größer geworden. Es gab inzwischen eine Ausstellung und ein Nachfolgeprojekt vom Balkonballett.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

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