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Kultur: Die Heilige Familie im Schuhkarton

Krippen, Kekse und Geschichten am dritten Advent in der Galerie Samtleben

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Ute Samtleben, eine der schärfsten Kritikerinnen des Weihnachtsmarkttreibens vor ihrer Galerie in der Brandenburger Straße, hatte an den vergangenen Sonntagen ihre Räume für all jene geöffnet, die aus dem Trubel einmal aussteigen wollten, um sich den Heimlichkeiten und der Vorfreude im Advent hinzugeben. Künstler ihrer Galerie hatte sie gebeten, Schuhkartons als Krippen zu bemalen und so Kulissen zu schaffen, in die hinein Kinder die Heilige Familie basteln könnten. Kaum einer, der dieser Bitte nicht nachkam. Und so wurde am großen Galerietisch gemalt und geschnippelt, geformt und geklebt, bis alle Kartons gefüllt waren.

Die neunjährige Hannah wählte den tiefvioletten Himmel mit Sternensprenkel, den Filmarchitekt Hans-Jürgen Deponte vorbereitet hatte. Aus Nussschalen baute sie eine Krippe für das Kind, setzte Maria und Josef daneben, sorgfältig aus Papier geschnitten und mit Stoff beklebt. Auch an Ochs und Esel hat sie gedacht und die wollenen Schafe. Und während sie aus glitzerndem Zierdraht die Konturen des Engels formt und ihn über der Heiligen Familie schweben lässt, erzählt sie ihrer kleinen Schwester die Weihnachtsgeschichte, „damit sie weiß, worum es geht, und wir nichts vergessen“. Hannah vergisst nichts. Als sie fertig ist, stehen die Hirten vor der Krippe und die drei Weisen aus dem Morgenland scheinen gerade angekommen zu sein. Wer nicht, wie Hannah, Bescheid weiß, holt sich Rat bei den Helferinnen aus der St. Nikolai- und der Friedensgemeinde, die die drei Adventnachmittage in der Galerie mit vorbereitet haben. Unterdessen schallen von draußen weihnachtliche Choräle des Posaunenchores der Nikolaikirche. Neugierige Passanten bleiben stehen, drücken ihre Nasen ans Galeriefenster. Mancher kommt herein und nimmt Platz. Es duftet nach Kakao und Spekulatius.

Als Klaus Büstrin den Raum betritt, zwei Bücher unter dem Arm, zündet Ute Samtleben am Kranz die dritte Kerze an und bittet zur Lesung. Wo es gerade noch wie im Bienenstock zuging, wird es plötzlich ganz leise. Die Kinder rascheln und knistern behutsamer, und auch die Erwachsenen lauschen nun der skurrilen Geschichte eines Familienvaters, der allzu gern Sonderangebote annimmt und sich per Versand allerlei nützliche und weniger nützliche Dinge ins Haus liefern lässt. Kurz vor Weihnachten aber treffen statt der bestellten fünf Kilo Nürnberger Pfeffernüsse 50 Kilo ein. Da gerät der Familienfrieden ernsthaft in Gefahr. Mit der gebotenen Dramatik schildert Klaus Büstrin den ungewollten Überfluss, an dem die Leidtragenden noch bis Ostern zu knappern haben. Als der Rest des Gebäcks schließlich ans Hühnervieh verfüttert wird, schmecken selbst die Eier noch wochenlang nach Pfeffernüssen.

Die Heiterkeit ist es, die diesen Nachmittag in der Galerie so angenehm macht. Alle schmunzeln über die fantasievollen Figuren, die die Kinder geschaffen haben. Die dreizehnjährige Marie hat ihre Heilige Familie an einem Strand im meeresblauen Karton von Peter Vogel platziert. Und in der Potsdamer Stadt-Kulisse von Bühnenbildner Peter Ludwig kommen die Hirten als Lego-Männchen auf dem Motorrad angefahren. Überall ist Weihnachten. Gerade auch in den lauten Städten, in denen die Menschen vor dem Fest in Stress geraten. Davon handelt die zweite Geschichte, die Klaus Büstrin an diesem Nachmittag vorträgt: Ochs und Esel aus dem Paradies kommen, auf der Suche nach dem weihnachtlichen Gefühl, mitten hinein in den beängstigenden Einkaufsrummel einer Großstadt. Was sie suchen, können sie dort nicht finden.

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