Kultur: Die Heimat der Nomaden
Ab morgen zieht das „Localize Heimatfestival“ in die leer stehende Lindenstraße 15
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Der Fußboden ist mit schwarzen Kleidungsstücken ausgelegt: Hosen, Jacken, Hemden als Teppich der Erinnerung. Irgendwann wurden sie von Menschen getragen, die nicht mehr sind. Nun liegen sie wie ein weicher Trauerflor ausgebreitet und sind zum Betreten bereit.
„Muttererde – Vaterland“ nennt die Berliner Künstlerin Anja Majer ihren Raum der Ahnen, den sie innerhalb des Potsdamer „Localize – Heimatfestivals“ gestaltet. Das alte morsche Gartenhaus lud förmlich dazu ein, über den Begriff Heimat nachzudenken. Der inzwischen kalt gewordene Kachelofen assoziiert die Wärme und Geborgenheit der Kindheit, verbreitet in der Fantasie den Geruch von Bratäpfeln. Die vielen Türen in dem Raum, darunter eine Falltür, mahnen, genau hinzuschauen, um den richtigen Ein- und Ausgang zu finden. Denn Heimat ist eine brüchige Angelegenheit. Das scheinen auch die schwarzen Löcher von der Decke zu rufen.
Die Lindenstraße 15 samt Gartenhaus stehen schon eine geraume Weile leer. Kaum mehr etwas erinnert an den einstigen Schreibwarenladen. Doch die 25 Studierenden der Universität und der Fachhoschule Potsdam, die gemeinsam mit 15 Künstlern aus Potsdam und Berlin den Laden derzeit gehörig umkrempeln, wollen seinen Ursprung hervorkehren, alte Spuren mit neuen Inhalten füllen. Sie hoben die kleinen Schätze, die das einstige Leben zwischen den Verkaufsregalen ausmachten. Im Schaufenster liegen Schultüten und Lineale neben nostalgischen Dingen, die man mit dem Erinnern verbindet: Strumpfhalter, Schildkrötpuppe, Matrjoschkas ... Dorothea Neumann besetzt ihr Heimatland wie einen Flickenteppich mit Gegenständen, die das Leben begleiteten.
In dem ersten der fünf Räume, die ab morgen die „Heimatstube“ ausmachen, hängt ein Briefkasten. Dort können die Besucher Postkarten einwerfen. Die Karten erhalten sie gratis mit Motiven von dem alten Haus in der Lindenstraße. Sie können beschrieben und nach Berlin und Potsdam geschickt werden. Auf dem Stempel des „Postamtes“ befindet sich das Muster der Blümchentapete aus dem Laden. Die Grüße an die Heimat werden von Künstlerin Maria Luisa Stock höchst persönlich überbracht. Sie stellt sich damit bewusst dem Trend der blitzschnellen Kommunikation entgegen.
„Für uns war es sehr spannend, dass es nur im Deutschen den Begriff Heimat gibt, mit dem wir uns so schwer tun. Viele finden ihn angestaubt und nichtssagend, andere assoziieren sofort rechtes Gedankengut. Gerade von diesen Klischees, von Flaggen und Heimatstolz, wollten wir weg kommen“, so Anna Lederle, Studentin der Europäischen Medienwissenschaft, die für die Pressearbeit des Festivals mit verantwortlich ist.
„Heimat hat für unsere Generation eine neue Ambivalenz“, sagt Falk Rößler, der mit Freund Tino Kühn und seinem Dozenten Simon Vincent am Donnerstag ein etwas schräges „Heimatprogramm“ musiziert: „Ein performatives Konzert zu Texten von Beckett und Fosse, aber auch zu verschollenem Liedgut.“ Frank Rößler bereiste die Welt, bevor er vor drei Jahren nach Potsdam zum Studieren kam. Er wohnt in Berlin und überlegt, wo sein nächster Ort sein wird. „Man muss flexibel sein, um Arbeit zu haben. Das zieht auch ein anderes Partnerschaftsverhältnis nach sich. Unser Leben hat schon etwas vom Nomadentum. Um richtig mitspielen zu können, muss man ziehen. Geht Heimat dabei verloren?“ Für Falk hat der Begriff auch etwas von Verflossenem, wo man nicht mehr ist. „Und wenn man zurückkehrt, wird man vielleicht enttäuscht sein, weil die Leute nicht mehr da sind, die einem wichtig waren.“
Wie für Nathalie Fari, die sich zwischen zwei Sprachen und zwei Kulturen bewegt. Sie ist mit deutschen Eltern in Brasilien aufgewachsen. In ihrem Kunstraum steht ein Koffer auf hohem Podest, die blaugewandete Madonna und die Briefmarkensammlung daneben im Regal. Bewegung, Beständigkeit. Welche Türen öffnen wir, wenn wir Heimatland betreten? Die Lindenstraße 15 bietet ab morgen viele Zugänge.Heidi Jäger
Das Localize – Heimatfestival ist ein Projekt von Studierenden des Studiengangs Europäische Medienwissenschaft und der Kulturwissenschaft der Fachhochschule und der Universität Potsdam in Kooperation mit dem Filmmuseum Potsdam und dem Studiengang Raumstrategien der Kunsthochschule Berlin Weißensee.
Heidi JägerD
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