zum Hauptinhalt

Kultur: Die Herren Goethe, Lessing und Derrick in Afrika

Mit „Herrn Abdoulaye“ gelang „Globians“ ein großer Fang / Veränderte Neuauflage geplant

Stand:

Mit „Herrn Abdoulaye“ gelang „Globians“ ein großer Fang / Veränderte Neuauflage geplant Beim modernen Dokumentarfilm muss man genau hinhören, denn die allwissende Stimme des Erzählers ist am Verschwinden. Beim „Globians“-Dokfilmfestival im Alten Rathaus verzichteten viele Beiträge auf den Einsatz eines erklärenden Off-Kommentars. Ebenfalls weitgehend verschwunden sind den Originalton verdeckende eingesprochene Übersetzungen; Untertitel erledigen die Aufgabe zurückhaltender. So rücken die porträtierten Menschen verstärkt in den Vordergrund. In Thomas Gonschiors „Buddhas Maler“ etwa, der beschreibt, wie der Buddhismus nach siebzig Jahren sowjetischer Fremdbestimmung wieder in die Mongolei zurückkehrt. Nachdem in den 1930er Jahren zehntausende Mönche ermordet, dutzende Klöster zerstört wurden, können heute meditative Kunsttechniken wieder praktiziert werden. Selbst des Mongolischen nicht mächtigen Zuschauern, vermittelt der interviewte Meister durch seine geschliffene Ausdrucksweise Würde und Gelassenheit. Ebenso spürbar wird der Schmerz, wenn ein alter Mönch besucht wird, der 70 Jahre in ein säkulares Leben gezwungen wurde und sich erst ganz am Ende seiner Zeit wieder zu seinem Glauben bekennen durfte. Kein westlicher Kunsthistoriker erläutert die Mandalas, Gonschior lässt die Menschen reden. Den Rest erzählen die Gemälde. Dass man eine führende Hand jedoch auch vermissen kann, machte Cassim Shepards ambitionierter Film „KAI: Home and Belonging Post-Coup Fiji“ deutlich. Dem jungen New Yorker Filmemacher, der eigens zur Premiere seines Films nach Potsdam gekommen war, gelingt es nur bedingt, den Konflikt zwischen den Ureinwohnern der Fidschi-Inseln und der Bevölkerungsmehrheit aus indischen Zuwanderern greifbar zu machen. Welches Potential in filmischen Sprachspielen steckt, verriet eine andere Premiere: „Herr Abdoulaye“. Dieser ist Deutschlehrer im Senegal und der Film über ihn war unbestrittener Höhepunkt des Festivals. Realisiert haben ihn Thomas Uhlig, Oliver Szasz und glücklicherweise auch Peter Drittenpreis an der Kamera, was den Film – eine Seltenheit beim heutigen Dokumentarfilm – auch ästhetisch zum puren Vergnügen werden lässt. Die beiden Regisseure haben ein handwerklich professionelles Debüt aus liebevoll detaillierten Bildern vorgelegt, das mit lockerer Hand afrikanische Leichtigkeit skizziert und dennoch nachdenken lässt. Denn vollkommen unaufdringlich ist „Herr Abdoulaye“ bei allem afrikanischen Lokalkolorit ein Film über Deutschland. Über deutsche Menschen, vor allem aber deutsche Werte, die hierzulande einerseits verpönt sind, deren Verschwinden andererseits fortwährend beklagt wird. Im Senegal genießen sie nach wie vor höchstes Ansehen. Andererseits machen sich die Befragten kaum Illusionen über Deutschland. Weniger Fremdenfeindlichkeit, viel mehr soziale Isolation prägt ihr Bild von dem fernen Land. Doch senegalesische Vorurteile sind stets mit einem Augenzwinkern verbunden. Und da die Senegalesen wissen, was sie an ihrer Heimat und ihren Familien haben, möchten sie gar nicht mit den Deutschen tauschen, auch wenn deutsche Industrieprodukte begehrt und Goethe, Lessing und Derrick im Senegal bewunderte deutsche Kulturträger sind. Der Kommissar lässt sogar Herrn Abdoulayes sonst allzu gestrenge Schulleiterin ins Schwärmen geraten. Dank des genialen Einfalls, der deutschen Sprache die Hauptrolle zu geben, gelang den Regisseuren ein vergnüglicher Film, der nicht über Afrika spricht, sondern wenigstens einen kleinen Ausschnitt des riesigen Kontinents endlich selbst einmal zu Wort kommen lässt. Dass es freilich auch konventionelle Dokumentationen gibt, die sehenswert sind, zeigten die Filme von Kazutaka Tokoda (Japan) und Nico Mesterharm. Letzterer hatte mit seinen schockierenden Berichten über die Aids-Katastrophe in Kambodscha zwar wiederum keine Zuschauermassen, immerhin aber den kambodschanischen Botschafter zum Ausklang eines Festivals gelockt, das letztendlich eher zu einem Arbeitstreffen ambitionierter Filmemacher wurde. Die Zuschauerresonanz hielt sich zur Enttäuschung der Filmemacher insgesamt sehr in Grenzen. Indes waren diese froh, sich wenigstens untereinander kennen gelernt zu haben. Der rührige Organisator Joachim Polzer denkt über eine Fortsetzung des Festivals nach: allerdings in veränderter Form.Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })