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Kultur: Die Hölle ist zeitlos

Thomas Heises Dokumentation über den Alltag verurteilter mexikanischer Jugendlicher im Filmmuseum

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Ein Abschied durch Gefängnisgitter. Umarmungen, Entlassung. „Komm nicht wieder“, sagt ein Verantwortlicher des Gefängnisses zu dem jungen Mann mit dem noch kindlichen Gesicht. „Nein, ich hab's begriffen“, antwortet der, bevor er durch eine Tür tritt, deren Enge symbolträchtig wirkt. In die Freiheit, auf eine tosende Straße. „Städtebewohner“ von Regisseur Thomas Heise, der am Dienstagabend in der Reihe „Aktuelles Potsdamer Filmgespräch“ im Filmmuseum gezeigt wurde, ist eine Arbeit über den Alltag verurteilter minderjähriger Gewalttäter in einem Gefängnis in Mexiko-Stadt. Es ist ein Film über Gewalt und auch über Verlorenheit. In ruhig fließenden Schwarzweiß-Bildern (Kamera: Robert Nickolaus) erzählt er von jungen Männern, die im Leben noch nie eine Chance hatten und für die Gewalt eine – für Außenstehende unfassbare – Normalität darstellt. Es gibt Szenen, deren Ambivalenz schwer auszuhalten ist: Wenn etwa Ever, der jemanden erschossen hat, nachsetzt: „Da war ich 14“; oder wenn Irvings Vater seinem Sohn beim Weihnachtsbesuch die richtigen Zielpunkte für einen Kopfschuss erklärt.

Heise bekam über das Goethe-Institut die Möglichkeit, ein Theaterprojekt mit Insassen des Jugendgefängnisses „San Fernando“ in Mexiko-Stadt zu erarbeiten. Heise fiel auf, wie nah Brechts Gedichte an der Biografien der Jungen sind, wie er im Filmgespräch erzählte. Drei der Gedichte verwendet er auch im Film, der eigentlich als Nebenprodukt des Theaterprojektes entstand.

Von Anfang an war für Heise klar, dass er den Alltag der Jungen beobachten und keinen Interviewfilm machen wollte. Die Begegnung mit seinen Protagonisten auf Augenhöhe ist dabei für ihn ein zentraler Punkt: „Man lernt sich kennen und macht etwas zusammen. Es gibt keinen Vorwurf, von wegen: Was hast du angestellt? Ich kann nur hoffen, dass diese Erfahrung für die jungen Männer übrig bleibt. Mehr kann ich nicht tun.“ Den Respekt der Gefangenen erwarb er sich, als er sich in der Zeit über Weihnachten mit den Insassen einschließen ließ, unter den gleichen Bedingungen lebte. „Wir wohnten in einer Massendusche auf der Erde. Es war saukalt und stank, weil die Kanalisation kaputt war. Wir standen auch mit den Gefangenen in der Schlange vor der Kantine und aßen nur, was sie aßen.“

Heise hat seinen mehrfach ausgezeichneten Film „Städtebewohner“ ohne Fördergelder, nur aus eigenen Rücklagen finanziert. Sein Produzent hatte ihn gewarnt, dass der Film nicht zu verkaufen sei, nur auf Festivals laufen würde. Heise glaubt: „Das ist jenseits jeder brauchbaren Ökonomie – wenn der Film gut ist, hält er das aus. Und wenn nicht, dann ist es auch in Ordnung.“ Gabriele Zellmann

Gabriele Zellmann

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