Kultur: Die Kadenz wie ein Naturereignis
Guy Braunstein beim Neuen Kammerorchester
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Mit zwei Beethoven-Werken, dem einzigartigen Violinkonzert und der selten gespielten 2. Symphonie, eröffnete das Neue Kammerorchester Potsdam in der Erlöserkirche seine siebte Saison. Es ist Ud Joffe, dem Künstlerischen Leiter und Dirigenten des Ensembles zu verdanken, dass Guy Braunstein als Interpret gewonnen werden konnte. Der 1971 in Tel Aviv geborene Violinist ist seit September 2000 als 1. Konzertmeister bei den Berliner Philharmonikern tätig. Dass er bereits zum zweiten Mal mit dem Neuen Kammerorchester Potsdam aufgetreten ist, kann als besonderer Glücksfall verbucht werden.
Lange Zeit galt Beethovens Violinkonzert als unspielbar. Erst mit der Zeit konnte sich dieses Werk durchsetzen, das Beethoven einziges Solokonzert für Violine geblieben ist. Genau genommen ist es weniger nach Prinzipien des Dialogs aufgebaut, sondern eher eine breit angelegte Sinfonie mit Sologeige. Der erste Satz zeichnet sich durch epische Breite und reichhaltige Motive aus. Das Orchester schlägt einen gelassenen, noblen Tonfall an, der von der Violine mit energischen, edlen Klängen pariert wird. Braunsteins Violine funkelt und glitzert wie ein Wasserfall in der Sonne, er spielt Figurationen butterweich, erklimmt mühelos die höchsten Lagen, spielt die Doppelgriffe und Akkorde kernig und virtuos. Dass hinter seinem Spiel ausgefeilte Technik steht, ist kaum bemerkbar, so urwüchsig und organisch wirken die kurvenreichen Passagen. Wie ein unvorhergesehenes Naturereignis bricht die halsbrecherische, expressive Kadenz über die Zuhörer herein. Den zweiten, fast durchgehend in Dur gehaltenen Satz, nimmt das Orchester suchend, bedächtig, mit angehaltenem Atem und ohne Sentimentalität. Die Violine bekommt viel Raum für idyllischen Gesang, der nur ganz sachte von aufblühenden Holzbläsern und zartem Pizzicato der Streicher grundiert wird. Schwere Akkorde künden den Übergang zum Finale, dessen 6/8 Rhythmus sogleich von der Violine ausgespielt wird. Farbige Zigeunertöne, vehemente Akkorde, meisterliche Figurationen ziehen die Zuhörer in den Bann. Nach begeistertem Applaus gab Braunstein als Zugabe die Allemande aus der zweiten Solo-Partita von Bach.
Kaum eine Beethoven-Symphonie ist unbekannter als die zweite, vielleicht, weil ihr Tonfall nicht so markig, emphatisch, energisch wie manch andere Symphonien von Beethoven ist. Die Zweite ergeht sich fast durchgehend in heiteren, poetischen, burlesken Klängen. Schwungvolle Streicherpassagen, blühende Bläser im melodischen larghetto bezauberten die Zuhörer. Der schöne Aufruhr des Scherzos mit Springen und Hüpfen fand eine organische Fortsetzung im furiosen Finale mit immer neuen gebändigt entfesselten Anläufen bis hin zum knappen Ausrufezeichen des Abschluss.
Am erstaunlichsten bei der großartigen Interpretation des Neuen Kammerorchesters Potsdam unter Ud Joffe war, wie homogen das Orchester klang – eine fantastische Leistung, fast ein Wunder bei den sehr knappen Ressourcen und des Orchesters. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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