Kultur: Die Kraft der Illusionen
Die Berliner Autorin Larissa Boehning stellt ihren neuen Roman in der Stadt- und Landesbibliothek vor
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Matthias beherrscht das Lügen perfekt. In Larissa Boehnings neuem Roman „Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr“ (Galiani Berlin Verlag, 19,99 Euro), den sie am Mittwoch in der Stadt- und Landesbibliothek vorstellen wird, ist er die zentrale Figur. Ein frisch gefeuerter Versicherungsvertreter und ehemaliger Mitarbeiter einer Internet-Partnerschaftsbörse, der es so gut versteht, Lügengeschichten zu erfinden, dass sich manches schon von alleine ausspricht. Mit schauspielerischem Geschick verstellt er sich und identifiziert sich dabei ganz und gar mit den Rollen, in die er jeweils schlüpft, um sein Gegenüber zu täuschen und mit vorgegaukelter Empathie für sich einzunehmen.
Auch als er die vereinsamte, schwerreiche und todkranke Annemarie Funk kennenlernt, gelingt es Matthias spielend leicht, ihr Vertrauen zu gewinnen und bei der alten Dame Muttergefühle zu wecken. Doch weiß der Erbschleicher nicht, dass er bei seinem Tun von Juliane beobachtet wird. Zuvor ebenfalls von Matthias beschwindelt, ausgenutzt und schließlich sitzengelassen, ahnt die junge Werbetexterin, was ihr Ex-Geliebter plant. Sie will Annemarie warnen, überlegt es sich jedoch anders und schreibt stattdessen deren Memorieren, um so Matthias besser nachspionieren zu können.
Immer dichter zieht Larissa Boehning in ihrem dritten Roman „Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr“ das Beziehungs- und Lügengeflecht. Bemerkenswert dabei ist, wie filmisch die in Berlin lebende Autorin die teils krimihafte Dreiecksgeschichte erzählt, wie gut es ihr gelingt, mit oft nur skizzenhaften Beschreibungen und knappen Dialogen das Wesen ihrer Figuren zu erfassen. Die innerhalb des Handlungsablaufs wechselnden Perspektiven und unterschiedlichen Erzählstimmen wirken belebend, so ändert der Lesefluss ständig seinen Rhythmus. Besonders markant wird dies spürbar, wenn die zielgenaue, kristallklare Sprache der Rahmenhandlung plötzlich hinüberwechselt zur vollen, bisweilen poetisch aufgeladenen Tonart, in der Annemaries Kindheit beschrieben wird. Zweifellos sind diese eingebetteten Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit in der oberbayrischen Provinz, als das Mädchen, kurz nach Kriegsende, unter der strengen Aufsicht der Mutter, im Gasthaus „Engelwirt“ aushelfen musste, jedoch im Großvater einen gütigen, liebevollen Verbündeten fand, die stärksten Passagen des Romans. Es sind diese Erinnerungen, die Annemarie ihrer Biografin Juliane anvertraut und aus denen sie scheinbar auch neue Kräfte zieht. Obendrein fühlt sie sich seltsam verjüngt, seitdem Matthias zu ihr in ihre Hamburger Villa gezogen ist und sie umsorgt. Und während sie ihm ein deftiges Bauerngericht nach dem anderen kocht, fragt er sich, zunehmend beunruhigt, wie lange er die Rolle als Sohn wohl noch spielen muss und wer hier eigentlich wen ausnutzt.
„Nichts davon stimmt, aber alles ist wahr“ ist ein teilweise etwas überkonstruierter, jedoch gut geschriebener, ja spannender Roman mit sehr interessanten, psychologisch fein ausgeleuchteten Figuren. Ein Buch über den Wert und die Manipulation von Gefühlen und über die Kraft der Illusionen. Daniel Flügel
Am Mittwoch, dem 23. April, um 19.30Uhr stellt Larissa Boehning ihren Roman in der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, vor.
Daniel Flügel
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