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Kultur: Die Kraft des Absoluten

Robert Schneider mit seinem Roman „Kristus“ im Literaturladen Wist

Robert Schneider mit seinem Roman „Kristus“ im Literaturladen Wist Kurz nach der Veröffentlichung seines phänomenalen Welterfolges „Schlafes Bruder“ im Jahre 1992 sollte Robert Schneider in Potsdam eine Lesung abhalten, die er kurzfristig absagen musste. Nun, dreizehn Jahre waren mittlerweile verstrichen, sitzt Schneider endlich im Literaturladen Wist. Wohin er schaut, direkt hinter dem Tisch, an dem er lesen soll, selbst neben ihm an der Wand, jeder freie Platz ist besetzt. Berührungsängste mit seinem Publikum hat Schneider nicht. „Ich habe schon vor zwei, aber auch schon vor 1000 Leuten gelesen.“ Die Anziehungskraft von Robert Schneider hat viele Gründe. Will man dem Autor gerecht werden, dann muss man präziser von der Anziehungskraft seiner Romane sprechen, denn Schneider lehnt jeden zusätzlichen Kommentar seiner Bücher ab: „Alles was ich zu sagen haben, sage ich in meinen Büchern. Das menschliche Geheimnis darf nicht zerredet werden“, sagte Schneider gleich zu Beginn seiner Lesestunde. „Sehen Sie es mir nach, dass ich lieber im Text verschwinde.“ Es ist, wie man an diesem Abend spürt, nicht schroff gemeint, eher konsequent, denkerisch rein und absolut. „Kristus“, Schneiders letztes, 600 Seiten starkes neues Buch handelt, wie „Schlafes Bruder“, wo Elias Alder über ein absolutes musikalisches Gehör verfügt und absolut, also ohne je zu schlafen, lieben will, ebenfalls vom Absoluten. Das Höchste in dieser, der Wirklichkeit entlehnten Geschichte aus der Reformationszeit ist das Ideal des Jan Beukels, ein Ort, an dem „Gottes Wort wahrhaftig gepredigt wurde“, „den verheißenen Ort der inneren Freiheit.“ Für Jan, der sich später Jan van Leyden nennt, ist dieser Ort das spätmittelalterliche Münster. Er wird dort als gefallener König der Wiedertäufer in einem Eisenkäfig elend sterben. Die von Schneider in charmantem vorarlbergischen Akzent vorgetragenen Abschnitte sind mit Bedacht gewählt. Seine Stimme ist einschmeichelnd, irgendwie suggestiv. Die Einleitung, „Vorspruch“ genannt, ist in einer einfachen, und daher gerade mächtigen Sprache von biblischem Klang gehalten: „Sie wollten das Paradies und brachten die Hölle.“ „Kristus“, so wird schon zu Beginn klar, ist eine Parabel mit universeller Gültigkeit, in der von der Notwendigkeit, seiner Utopie mit allem Eifer zu folgen, ebenso berichtet wird wie von der Zwangsläufigkeit, mit der diese im Unglück enden wird. Zwischendrin setzt Schneider wirkungsvoll Pausen, die das Publikum mit absoluter Stille füllt. Dann lässt er seinen Blick – spitzbübisch und liebevoll zugleich – über die Köpfe schweifen. Wenn jetzt ein Handy bimmelt. Aber als dann tatsächlich ein polyphones Gezwitscher losbricht, reißt es den als sensibel geltenden Autoren auch nicht aus der Ruhe. Das Buch wirkt wie ein Historienroman. Aber es zielt auf Universelleres. Schneider begibt sich tatsächlich auf die Suche nach dem eingangs erwähnten „menschlichen Geheimnis“. So im letzten Gespräch zwischen dem Fürstbischof von Münster, Graf Waldeck, mit dem eingekerkerten Jan Beukels. Der Fürst bedrängt den Wiedertäufer, der die Stadt in Tod und Elend gestürzt hat, ihm sein Geheimnis Preis zu geben, wie er so viele Menschen hinter sich hat bringen können. Die Antwort des bald im Käfig über der Stadt Hängenden ist in der Sprache der Renaissance formuliert, ihr Gehalt hingegen ist modern: „Die Verzweiflung ist mein Geheimnis, wenn Ihr so wollt.“ Und: „Ich selbst blieb mir verborgen.“ Robert Schneiders Text, diese Suche nach Gott und Hoffnung, die unerfüllt bleibt, hatte die Zuhörer an diesem langen Abend ergriffen und berührt. So als ob sie vom Absoluten angesteckt worden wären.Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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