zum Hauptinhalt

Kultur: Die Last des Schicksals

Angelica Domröse in O“Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ am Potsdamer Theater

Stand:

Mindestens so tragisch wie seine Tragödien war das Leben des amerikanischen Autors Eugene O''Neill. Als der Dramatiker 1936 den Nobelpreis für Literatur erhielt, war er bereits elf Jahre von der Flasche weg. Trotz erfolgreicher Psychoanalyse ließen den Autoren die Martyrien seiner Jugend aber nie mehr los. Er litt sein Leben lang unter Depressionen, dachte beständig an Selbsttötung und schrieb sich mit 52 Jahren sein Familientrauma von der Seele: Mutter rauschgiftsüchtig, Vater trinkt, früher Alkoholtod des Bruders.

Die daraus entstandene Familienstudie von liebenswerten Menschen, die durch die Last des Schicksals zu etwas wurden, was sie im Grunde ihres Herzens verachten, wird bis heute auf den Bühnen der Welt gespielt. Quälendes Verhängnis wie in antiken Tragödien und die Seelenanalyse eines Strindberg werden bei dem Irländer O''Neill zu „tiefem Mitleid, Verstehen und Vergebung“ für die unglückliche Familie.

Am Potsdamer Hans Otto Theater hat das neurotische Quartett noch ein letztes Mal den einstigen Zuschauerraum der Bühne in der Zimmerstraße besetzt, um den Kampf gegen die Angst aufzunehmen. Zwischen Möwengeschrei und Saxophonblues, in die verschlissene Eleganz einer weit ausladenden Holzverschalung mit Fruchtschale, Schaukelstuhl, und Bücherwand (Bühne: Gisbert Jäkel) ist Mama wieder mal vom Entzug zurückgekehrt. Sie soll den Blick aus dem verglasten Wintergarten auf ihre heiß geliebten Nebelbänke genießen – und sich auf keinen Fall aufregen. Da platzt die Diagnose Schwindsucht für ihren Jüngsten ins Haus. Eine Lawine von bisher nie offenbarten Familienwahrheiten löst sich, unter der alle ums Überleben kämpfen ...

Angelica Domröse macht aus diesem Ringen einen geradezu virtuosen Part. Sie tänzelt fahrig vor den misstrauischen Blicken ihrer Familie in kraftvolle Ausbrüche der Anklage und Selbstbezichtigung, deren Pathos sie blitzschnell mit lakonischem Witz von spitzbübischer Schelmenhaftigkeit bricht. Eigentlich ein Opfer ihres verpfuschten Lebens begibt sich die Domröse in den knallharten Dialog mit sich selber, der das starke Geschlecht in der Familie blass aussehen lässt. Wenn sie mit der Kraft einer Bahnhofssdurchsage ihren Mann „James !!!“ ordert, in gespielt harter Entrüstung vor den Söhnen die Sucht leugnet oder wütende Attacke gegen die fahrlässige Gedankenlosigkeit von Ärzten und ihrem eigenen Mann reitet – dann bäumt sich ein zartes Wesen stahlhart gegen die erdrückende Übermacht einer bösen Prognose auf.

Roland Kuchenbuch als Vater James spielt eher den kleingeduckten und überforderten Ehemann, dem alle auf der Nase rumtanzen. Vom Autor mit dominierender Präsenz ausgestattet, findet Kuchenbuch immer dann am besten zu sich, wenn er den alkoholisierten Bauernschlauen gibt. Da wuselt ein zigarrequalmender Hausjackenpappi auf der Flucht vor dem Unvermeidlichen durchs Haus, der sich zur Größe strafft, wenn er geistig-moralische Schnäppchen als Eigentore einfährt. Den älteren der beiden Söhne spielt Kay Dietrich anfangs sehr als zur Faust geballtes Gesicht mit schmollig verdunkeltem Blick. Erst unter Alkohol gestattet er seinem Jamie den verkommenen Zynismus eines armen Schweines, das abhängig vom Geld des verachteten Vaters und eifersüchtig auf den jüngeren Bruder ist. Diesen gibt Johannes Suhm in flinker Beweglichkeit mit zartem Stimmchen, der mit Mama noch immer nur unentwegt kuscheln kann. Seine splitterfasernackte Lebensbeichte auf dem runden Tisch im Wohnzimmer hautnah vor dem Publikum war vielleicht der Angst des Regisseurs Uwe Eric Laufenberg vor Langeweile geschuldet.

Seine Inszenierung ist nämlich immer dann interessant, wenn starke Schauspieler zu sich selber kommen. Ist das nicht der Fall, gibt es oft viel Bewegung in leeren Gängen, denen Spannung fehlt, weil die Situation unscharf ist. Was den dreieinhalb Stunden O''Neill aber insgesamt kaum Abbruch tut, da die exzellent kalkulierte Besetzung mit Angelica Domröse voll aufgeht.

Nächste Vorstellung: 5. 2., 17 Uhr

Ulf Brandstädter

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })