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Traditionsbewusst. Schriftsteller Jan Brandt im Friesennerz.

©   Harry Weber

Kultur: Die Leiden des Daniel Kupper

Jan Brandt liest aus „Gegen die Welt“

Stand:

Daniel gehörte nie richtig dazu, war nie richtig dabei. Hineingeboren in ein Dorf, in eine Welt, in die er nicht passte. Zwar „anwesend, aber mit den Gedanken woanders, voraus oder zurück, zu langsam oder zu schnell, zu laut oder zu leise, nie im Einklang mit der Welt.“ Immer irgendwie gegen die Welt.

„Gegen die Welt“, so lautet auch der Titel des ersten Romans von Jan Brandt, den er am morgigen Samstag in der Reihe „lesegarten“ in der Buchhandlung Viktoriagarten vorstellt. Schon bevor sein Roman überhaupt erschienen war, geisterte Jan Brandt mit seinem lange angekündigten Vorhaben durch die Feuilletons. Ein Debütroman mit 927 Seiten, der von Kritikern bestenfalls noch als „mutig“ oder „ambitioniert“ bezeichnet wurde. Doch auch nach seinem Erscheinen rufen Länge und Inhalt kontroverse Diskussionen innerhalb der Leserschaft hervor: Von den einen für seinen authentischen und fesselnden Stil in höchsten Tönen gelobt, von den anderen wegen seiner Länge und ausufernden Erzählung kritisiert.

Hauptfigur in „Gegen die Welt“ (Dumont Verlag, 22,99 Euro) ist der junge Daniel Kuper, Sohn eines Drogisten. In die Mitte der 70er Jahre hineingeboren, wächst er in dem kleinen ostfriesischen Dorf Jericho auf. Jericho ist ein fiktiver Ort, der durchaus Ähnlichkeiten zu Brandts eigener Heimatstadt Leer aufweist, dem jedoch häufig ein literarischer Bezug zu dem biblischen Jericho, an der Senke des Jordans, und dem Jerichow aus Uwe Johnsons „Mutmaßungen über Jakob“ unterstellt wird. Brandts Jericho ist ein Provinzdorf, wie es sie in ländlichen Gegenden zuhauf gibt. Für Daniel ist dieses Dorf aber der falsche Ort. Unter der Beobachtung der Dorfbewohner, die schon beinahe an Überwachung grenzt, stößt Daniel mit seiner lebhaften Fantasie und den wenigen Möglichkeiten, diese auszuleben, ständig an seine Grenzen. In seiner eigenen Welt verloren, liest er lieber in den Science-Fiction-Heften von Perry Rhodan oder träumt davon, seiner Lehrerin mit einem „arkonidischen Psychostrahler“ posthyptnotische Befehle zu erteilen. Die ländliche Ruhe wird jedoch gestört, als mitten im September ein Schneesturm Jericho heimsucht, Daniel von Außerirdischen entführt wird, Kornkreise in einem Maisfeld auftauchen, Hakenkreuze an Wände geschmiert werden und einer von Daniels Klassenkameraden Selbstmord begeht.

Der Leser begleitet Daniel auf dem Weg des Erwachsenwerdens, beim Rauchen seiner erste Zigarette, den ersten Alkoholexzessen und bei so manche Dummheit, die die Dorfjugend in ihrer alles überschattenden Langeweile so treibt. Jan Brandt schafft mit Jericho einen Kosmos, dessen Bewohner zwar nicht glücklich sind, für die die Dorfgemeinschaft jedoch über allem steht. Bei der Frage nach Schuld und Unschuld sieht sich Daniel am Ende ganz allein dieser Dorfgemeinschaft gegenüber gestellt.

Mit einer ausgeprägten Vorliebe für die kleinsten Details lässt Jan Brandt seinen Roman, der im vergangenen Jahr auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, auf die Größe von knapp 1000 Seiten anwachsen, schweift häufig über mehrere Seiten völlig von seiner Hauptfigur ab, macht eine Rundreise durch die Lebenswelten beinahe jeder Nebenfigur und zweiteilt einmal die Geschichte auf über knapp 150 Seiten, sowohl erzählerisch als auch visuell. Mit einem „manischen Realismus“, wie Jan Brandt seine Erzählweise selbst bezeichnet, geht es ihm vor allem um Freundschaften und Verrat, idyllisch eingebettet in den Untergang der dörflichen Provinz. Chantal Willers

Jan Brandt liest am morgigen Samstag, 20 Uhr, in der Buchhandlung Viktoriagarten in der Geschwister-Scholl-Straße 10. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 967 86 450

Chantal Willers

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