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Kultur: Die letzte Nacht der „Titanic“

Musikalische Lesung im Nikolaisaal

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Das Interesse am Schicksal der RMS Titanic besteht fort. Auch hundert Jahre nachdem das seinerzeit weltweit größte Passagierschiff auf seiner Jungfernfahrt von Southampton nach New York kurz vor Mitternacht mit einem Eisberg kollidierte und zweieinhalb Stunden später im Nordatlantik versank, zieht diese Katastrophe die Menschen noch in ihren Bann. Man möchte begreifen, was sich in der Nacht vom 14. auf den 15.April 1912 an Bord des Ozeanriesen abgespielt hat, als rund 1500 Menschen den Tod fanden. Eine Katastrophe, die mittlerweile insbesondere durch Literatur und Film zum ewigen Mythos geworden ist. Am Samstagabend hatte man dazu Gelegenheit, als im Nikolaisaal, im Rahmen einer aufwendigen musikalischen Lesung, die letzte Nacht der Titanic rekonstruiert wurde.

Es ist eine Zeitreise, auf die das Publikum zwei Stunden lang mitgenommen wird. Während auf einer Leinwand Originalfotos der Titanic, ihrer Innenausstattung und einiger ihrer prominenten Besatzungsmitglieder gezeigt werden, liest der österreichische Schauspieler und Benn Kingsley-Synchronsprecher Peter Matic mit seiner betörend eingängigen Stimme Auszüge aus dem 1955 erschienenen und noch immer als Standardwerk geltenden Buch „Die letzte Nacht der Titanic“ des amerikanischen Autors Walter Lord. Durch die große Ansammlung von Berichten Überlebender des Unglücks gelingt es Lord, die Geschehnisse, von der Eisbergkollision bis zum Untergang des Schiffes, minutiös nachzuzeichnen, wobei auch die Blickwinkel ständig wechseln und ein überaus dichtes Gesamtbild entsteht.

Musikalisch untermalt und kommentiert werden Matics vorgetragenen Etappen der Katastrophe bravourös von den Musikern des Filmorchesters Babelsberg unter der Leitung von Chefdirigent Scott Lawton. Klassische Seestücke stehen dabei im Mittelpunkt, wie die von Streichern dominierte Konzertouvertüre „Fingal’s Cave“ von Felix Mendelssohn Bartholdy oder die sehr ausdrucksstarken, opulenten Instrumentalstücke „Four Sea Interludes“ aus der Oper „Peter Grimes“ des englischen Komponisten Benjamin Britten. Und spätestens als fröhlich und laut „Maple Leaf Rag“ und „The Entertainer“ erklingen, zwei der bekanntesten Ragtimes von Scott Joplin, kann man nachvollziehen, weshalb sich das vielköpfige Filmorchester im Programmheft hier „Bordkapelle“ nennt, die versucht, mit dieser heiteren Musik einer Panik auf dem Schiff zu begegnen. Das hat Charme und erhält stürmischen Beifall.

Der Höhepunkt des Abends ist jedoch der kurze Auftritt von Ulrike Stürzbecher und Gerrit Schmidt-Foß, der deutschen Synchronstimmen von Kate Winslet und Leonardo DiCaprio. Begleitet von den Klängen des „Titanic“-Soundtracks von James Horner und den Bildern des gleichnamigen James Cameron-Films präsentieren die beiden noch einmal ihren Dialog während der berühmten Szene am Bug. Dass sich diese schon vor dem Schiffsunglück abgespielt hat, irritiert offenbar ebenso wenig wie das unvermittelt erklingende, markante Dreiton-Motiv des „Main Title“ aus „Der weiße Hai“ von John Williams. Mehr als der Effekt überzeugt stets die musikalische Darbietung.

Noch bevor das riesige Heck der Titanic, vor dem Hintergrund eines Sternenhimmels, fast aufrecht aus dem Wasser ragt, haben die meisten Musiker der „Bordkapelle“ die Bühne bereits verlassen. Nur der großartige Sprecher und wenige Streicher bleiben zurück und ernten den warmen Schlussapplaus.

Daniel Flügel

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