Kultur: Die letzten Venezianer Dokumentarfilm-Abend in der Galerie Ruhnke
Ohne Plan kommt kein Filmemacher aus. Er fasst die Idee und das Ziel im Voraus einer Produktion zusammen.
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Ohne Plan kommt kein Filmemacher aus. Er fasst die Idee und das Ziel im Voraus einer Produktion zusammen. Der Film ist dann nur noch die Einlösung dieser Idee. Bei Andreas Pichlers Film „Das Venedig Prinzip“, der am Freitagabend im Garten der Galerie Ruhnke gezeigt wurde, war im Vornherein klar, wohin die Reise führen sollte – nämlich zu der Erkenntnis, dass in der Lagunenstadt die Zahl der fremden Touristen unentwegt steigt, während die Einheimischen samt der notwendigen Infrastruktur mit notpeinlicher Billigung des Rathauses immer weniger werden. Die Galerie Ruhnke zeigte dieses abendfüllende Werk in Kooperation mit „quer.kultur“ und „Il Ponte“ vor so viel Besuch, dass es im Garten eng und gemütlich wurde.
Der Film stellt die vermeintlich letzten Venezianer samt ihrer Klagen und ihrem unbeugsamen Humor ob des Unabänderlichen ins Zentrum, eine alte Dame, den schönsten Gondoliere aller Zeiten, einen Makler und Bausachverständigen, der dauernd lügen muss, um die Wahnsinns-Preise für marode Immobilien durchzukriegen, einen Umsiedler, der aufs Festland zieht, weil der den brutal überhöhten Mietzins nicht mehr zahlen kann, einen städtischen Beamten, der Gratisfahrten zur Glasmacherinsel Murano wie Sauerbier anbietet, weil er von den eiligen Touristen kaum noch wahrgenommen wird.
Venedig stirbt, soziale Einrichtungen wie Post, Krankenstationen und andere Einrichtungen werden geschlossen, die Eingeborenen wissen nicht mehr, wovon sie leben sollen. Eine halbtote Stadt, die Disneyland immer ähnlicher wird – so ist der Tenor dieses sehenswerten Films.
Dafür boomt der Tourismus. Wenn diese gigantischen Luxusliner in den Hafen einfahren, überragt ihre Kulisse die Silhouette der Stadt um etliche Meter. Weiß gestrichene Gespenster sind das, tausende Venedig-Begierige auswerfend, die sich in die schmutzigen Gassen ergießen. Die Fremdenführer wissen genau, dass sie ihrer Klientel nur Illusionen andrehen, aber die sucht und wünscht es ja auch. Die Einheimischen klagen, hier werde öffentlicher Raum zugunsten großer Konzerne vermarktet, sie selbst „nur noch verarscht“.
Heilige Einfalt! sollte denn Venedig, die Nekropole seit eh, wirklich der einzige Ort sein, wo man im Auftrag des Geldes Öffentliches so konsequent vermarktet und Einheimische austreibt? Die stolze und handelssüchtige Stadt war doch nie anders, war immer eine Geldstadt. Was also hätte sich denn wirklich geändert – gemessen an Shakespears Venedig-Dramen und im Schatten der Ozeanriesen? Eigentlich doch beinahe nichts.
Der Film gefällt sich im kulturellen Lamentieren, in der Melancholie der schönen Bilder. Sollte es den Bewohnern einer Stadt, die schon seit Jahrhunderten tiefer und tiefer versinkt, wirklich verborgen geblieben sein, dass dies in sprichwörtlich jeder Hinsicht tatächlich geschieht? Der Hafen, sagt ein Stadtbeamter, wird ausgebaut für noch größere Schiffe, es geht also weiter mit dem Untergang. Das „quer.kultur“ und Il Ponte das thematisieren, ändert daran nichts. Lachen und Weinen, Maske und Tod war den Venezianern immer schon eigen. Gerold Paul
Gerold Paul
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