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Kultur: Die Liebe als Wille und Vorstellung

Bei Wist: Julia Schoch mit „Steltz & Brezoianu"

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Braun ist der Umschlag des Buches aus der edition azur, wie die Schale einer Kartoffel, und mit einem ins Violette gehenden Aufkleber „Für radikal Liebende!“ versehen. „Steltz & Brezoianu“ sind Frau und Mann, ein Paar, das sogar in einer der extrem kurzen Geschichten einen Preis für das „pragmatischste Paar“ erhält. Wie nun das radikale Lieben mit der Pragmatik zusammenhängt, kann man dem Manifest entnehmen, das im Internet das Buch begleitet.

Fest steht, dass Julia Schoch ein außergewöhnliches literarisches Dokument verfasst hat, das mit ebensolchen Illustrationen von Sibylla Weisweiler versehen ist. Nicht zufällig die Umschlagfarbe, die an die Kartoffelschale erinnert, denn Sibylla Weisweiler kam auf die Idee, den vierundzwanzig Kürzesterzählungen eine eigene narrative Strecke zur Seite zu stellen. Sie kaufte die Edelkartoffel „Bamberger Hörnchen“, ließ die Erdäpfel liegen und beobachtete sie dabei, wie sie keimten und schrumpelten und dabei immer mehr an Hündchen oder Menschen erinnern, die sich nach Liebe sehnen. Das setzte sie in Graphitzeichnungen um, auf denen die Nachtschattengewächse tatsächlich nach Liebe zu schreien scheinen. Aufgeschnitten liegen die beiden Hälften da und suchen die erneute Vereinigung, die aber nicht gelingt, sie strecken hilfeheischend die frisch gewachsenen Ärmchen in die Luft, damit einer sich doch erbarme und sie umarme, weil es doch so schwer ist, immer allein durch die Welt zu laufen.

Dazu dann die extrem kurzen, meist lakonischen und immer irgendwie rätselhaften Texte der 1974 geborenen Julia Schoch, die nicht nur als Autorin, sondern auch als Übersetzerin französischer Texte Bedeutung erlangte. Die sparsamen Texte hat sie, wie sie im Gespräch im Literaturladen verriet, den „Geschichten von Herrn Keuner“ von Bertolt Brecht nachempfunden. Aber Herr Keuner sei eben immer alleine gewesen, so dass Schoch aus innerer Notwendigkeit ihre beiden Hauptfiguren erfunden hat. Nicht immer sei es leicht, zwei Protagonisten gleichberechtigt miteinander agieren zu lassen, aber in dieser Miniaturform gehe es eben doch. Der Name des Mannes Brezoianu habe sie schon begleitet, seit sie in Bukarest in einer Straße gleichen Namens gelebt habe. Steltz, der Name der Frau, ist dann hinzugekommen, weil dem runden Lautbild etwas entgegengesetzt werden musste. Das Gegensätzliche ist also auch in diesen Kürzestnarrationen ein Prinzip der Liebe. Allerdings wird hier das gängige Klischee des Weichen, das das Weibliche sein soll, zumindest im Namen umgekehrt und der Frau den kälteren, härteren Part gegeben.

Besonders verwirrend wird das Ganze, als die beiden sich in Geschichte Nummer zwei jeweils mit dem anderen Namen ansprechen. So verschmelzen die Identitäten miteinander, die eine geht im anderen scheinbar auf. Diese Episode endet mit einem lakonisierten Romantik-Anklang: „Sieh nur, wie die Pilze sprießen, und das Abendrot und davor der lange Hund“. Dass das Abendrot in dieser Hingabe eine Rolle spielt, führt zwar auf die Romantik zurück, wie das verkitschte Sonnenuntergangs-Bild aber fast einsilbig ironisiert und auf einen Kältegrad heruntergedrückt wird, ist höchst zeitgemäß. Da wandelt jemand auf den Spuren der Liebe und will doch alle Klischees vermeiden, aber dass wir wieder radikal lieben müssen, das ist für Julia Schoch auch eine gesellschaftliche Notwendigkeit. In ihrem „Manifest“, das im Internet und nicht im Buch das Buch begleitet, steht: „Zwei ist die erste reine Zahl“. Und: „Grundvoraussetzung für das kapitalistische System und dessen Stütze ist der Einzelne“.

Aha, eine radikale Revolution durch die Liebe, ein Umsturz des kapitalistischen Systems, den nur die Liebe herbeiführen kann, auch wenn sich diese in den Texten manchmal spröde gibt. Die Liebe als „Bollwerk-Projekt“ leitet das Manifest an, das nicht die Natürlichkeit von Gefühl meint, sondern die Liebe als Wille und Vorstellung. Die Liebe als Konzept, das dem heiß gelaufenen Kapitalismus wie ein Schädling eingepflanzt werden soll. Das ist ein Programm, das von den Texten zeitgemäß inszeniert wird.

Lore Bardens

Lore Bardens

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