Kultur: Die liebe Not mit der Ausdruckskraft von Noten
Die Kammerakademie Potsdam eröffnete mit Sol Gabetta und Baiba Skride die Saison der Sinfoniekonzerte im Nikolaisaal
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Auch beim Start in die Saison der Sinfoniekonzert-Reihe des Nikolaisaals bleibt die Kammerakademie Potsdam ihrer programm-dramaturgischen Absicht treu, jeden entsprechenden Auftritt mit einem zeitgenössischen Werk beginnen zu lassen. Diesmal sind es die „Shaker Loops“ für Streicher des 1947 geborenen Amerikaners John Adams , in der Art von sich endlos abspulenden Tonbandschleifen komponiert. Was natürlich nahe legt, dass es sich stilistisch um „minimal music“ mit ihren ständigen Klangrepetitionen handeln müsste. Der Komponist enttäuscht die Erwartungshaltung nicht und drängt jeden Dirigenten ob der oftmals vertrackten Rhythmen in die Rolle eines akribischen Taktschlägers. Paul Meyer, Klarinettist mit Dirigierambitionen, erledigt seine Aufgabe mit Hingabe.
Aus leisem Beginn entwickelt sich allmählich, was wie das Schwirren von Libellen oder wie ein unaufhörlicher Elfentanz klingt. Harmonische Veränderungen in den sich überlagernden Streicherflächen sind „all inclusive“, auf die man horchen muss. Dass das alles sehr klangedel tönt, dafür bürgt der Kammerakademisten saubere Intonation und präzises Zusammenspiel. Seltsam schwankende Gestalten erscheinen auf der „Szene“. Da scheint die Musik fast auf der Stelle zu treten, wirken Glissandi in dieser vibrierenden Stille geradezu wie Ausdrucksexplosionen. Motorisch das Finale, in dem die Violinen einen gläsern-spröden, frostigen Klang voller Intensität erzeugen. Schöne Vorahnungen von Winter à la Vivaldi. Erwärmend dagegen der anerkennende Beifall für diesen neutönerischen Klassiker.
Genau 189 Jahre liegen zwischen ihm und der Sinfonie Nr. 101 D-Dur von Joseph Haydn, die wegen einer gleichmäßig tickenden Begleitfigur im zweiten Satz den Beinamen „Die Uhr“ erhielt. Die überraschungsreichen Wendungen wirken dabei wie Anti-Einschlafausbrüche. Doch muss man sie, wie vieles andere auch, mit solcher grobschlächtigen Nachdrücklichkeit vorführen? Draufgängerisch, lautstark, kaum elegant, banal im Ausdruck und oftmals überakzentuiert eilen die Musiker muskelprotzend durch die Sätze. Dass der Dirigent, von sportivem Ehrgeiz angestachelter Leidenschaftsfanatiker, die von Sturm und Drang durchglühte Ausdruckskraft der Noten oft mit Effekthascherei verwechselt, ist weniger erfreulich. Das war Haydn in der Beethoven-Ecke.
Und wo wird sich Johannes Brahms mit seinem a-Moll-Konzert für Violine, Violoncello und Orchester op. 102 wiederfinden? Um das nötige Klangvolumen zu erzeugen, müssen die 37 Musiker forcieren, was Lungen und Bogendruck hergeben. Die Folge: der Klang verhärtet zunehmend, zeigt wenig Flexibilität und Geschmeidigkeit, tobt sich immer wieder in Fortissimo-Orgien aus. Doch so verfeindet waren der Tonsetzer Brahms, hier personifiziert als Cello, und sein Geigenfreund Joseph Joachim nun auch wieder nicht, wie uns der Dirigent mit seiner Deutung des autobiografisch geprägten Doppelkonzerts weismachen will. In dem Versuch, das getrübte Verhältnis wieder ins Lot zu bringen, spielen Unmutsäußerungen, schroffe Abweisungen bei den Versöhnungsversuchen, Rede, Gegenrede und finale Freude eine wichtige Rolle.
Mit Geigerin Baiba Skride auf der „Wilhelmi“-Stradivari von 1725 und Cellistin Sol Gabetta auf einem Guadagnini-Instrument von 1759 sind zwei ausdrucksberstende Virtuosinnen von Weltrang am Werk. Farbenpsychologie prägt deren Gewänder: Gabetta trägt türkisfarbenes Chiffon, pflegt über weite Strecken einen expressiven, fast ruppigen Ton; Skride signalrote Seide und saitensingend Innigkeit. Beide bestimmen mit ihrem technisch ausgefeilten Spiel das musikalische Geschehen, orientieren sich auf Bravour und Brillanz. Sie sind eingebettet in den Orchesterklang, allerdings nicht immer mit ihm verschmolzen. Romantische Gefühle hörsucht man im Andante allerdings vergebens. Sie werden mit Bravojubel überschüttet.Peter Buske
Peter Buske
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