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Kultur: Die Lust am Quälen

Jo Strømgren gastierte bei den Tanztagen

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Die Frauen leben auf engsten Raum zusammen. Der Alltag ist in ritualisierten Handlungen zergliedert. Einziger Höhepunkt des Tages ist die karge Mahlzeit aus Wasser und Brot. Dazwischen herrscht Langeweile. Um dieser zu entgehen, denken sich die Frauen Spielchen aus, perfide Spiele, Machtspiele. Denn das einzige wirkliche Vergnügen, das die Abgeschiedenheit jenseits jeglicher sozialer Kontrolle gebiert, ist die Lust, den anderen zu quälen. Die einzige Art von Beziehung, die Menschen untereinander eingehen können, beruht auf dem Prinzip der Hierarchie, dem Aushandeln von oben und unten, von Macht und Ohnmacht.

Diese bitterböse Parabel menschlichen Zusammenlebens war als Deutschlandpremiere am Wochenende während der 16. Potsdamer Tanztage zu erleben. Der renommierte norwegische Choreograph Jo Strømgren fokussiert in seiner Inszenierung auf einen gesellschaftlichen Mikrokosmos und konzentriert sich auf den körperlichen Ausdruck des Sozialen. Um die Entstehung und Etablierung von Macht zu zeigen, genügen ihm drei Menschen, die in Alter und Geschlecht annähernd gleich sind. So entgeht er dem Klischee, der steten Reformulierung von kulturell bestimmten Machtbeziehungen, etwa zwischen Männern und Frauen oder Eltern und Kindern. Auch verzichtet er auf den Sinn von Sprache, wohlgemerkt nicht auf Sprache selbst. Ihr Klang und die durch Tonfall, Lautstärke und Modulation übermittelte Emotion ist ein tragendes Element der Inszenierung. Dafür hat Jo Strømgren eigens eine Kunstsprache entwickelt, ein vom Berner Schweizerdeutsch ausgehendes unverständliches Idiom. Die durch diese Abstrahierung gewonnene Universalisierung überzeugt sofort. Beschimpfungen und Schmeicheleien sind eben nicht Eigenart einer bestimmten kulturellen Tradition – sie demütigen oder täuschen wohl in jeder Sprache, wie die Lust am Quälen nicht einem Nationalcharakter zugeschrieben werden kann.

Sehr beeindruckend zeigen die drei Darstellerinnen die Bösartigkeit und das Selbstzerstörerische eines feindlichen Miteinanders. Das selbstvergessende Essen der einen wird zur hungernden Qual der anderen. Das bewusste Entziehen von Speise wird zur Folter, die so Erniedrigte wird in den Wahnsinn getrieben, die Gedemütigte gesteht ihre hündische Unterwerfung durch Bellen ein. Aufbegehren und Rache verändern nichts an dem Machtgefüge an sich, nur die Machtpositionen werden vertauscht. Keine Frage: der Blick, den Jo Strømgren auf die Menschen wirft, ist ein misanthropischer, der die Abwesenheit von Liebe, Barmherzigkeit und Mitleid allenthalben konstatiert. Wie die drei Darstellerinnen in der anschließenden „Zuschauerschule“ erzählten, entschied sich Jo Strømgren für sein Kammerspiel ganz bewusst für Schauspielerinnen und damit für nicht ausgebildete Tänzerinnen. Um ein möglichst authentisches Agieren zwischen den Personen auf der Bühne zu inszenieren, sprach Jo Strømgren im Arbeitsprozess nie über das Ziel der Inszenierung oder die dramaturgische Grundkonzeption. Nur der Rahmen wurde vorgegeben: Die Handlung spielt in einem abgeschiedenen Kloster, die Protagonistinnen sind Nonnen.

Für die inhaltliche Konzeption von „The Convent“, so der Name des Stückes, ist dieser Rahmen nicht unproblematisch. Christliche Riten, wie die Bekreuzigung mit Weihwasser, und christliche Symbole wie die Stigmata werden nur zitiert, um sie als Farce zu dekonstruieren und als inhaltsleer auszustellen. Das heilige Buch wird zerrissen, Szenen aus Evangelien parodierend zum Zeitvertreib im Kloster nachgestellt. Um theologische Konzepte, ein christliches Menschenbild oder die soziale Funktion von Religion geht es in dem Stück nicht. Die Hinterfragung christlicher Moral oder eines christlichen Menschenbildes bleibt auf einer banalen Ebene, die mit überaus virtuoser künstlerischer Gestaltungskraft in Szene gesetzt wird. Lene Zade

Lene Zade

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