
© Manfred Thomas
Lars Eidinger im Filmmuseum Potsdam: Die Lust am Widerspruch
Der Schauspieler Lars Eidinger zu Gast im Filmmuseum im Rahmen einer Werkschau
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Als Lars Eidinger sich am Donnerstag im Internet erkundigte, wo er da in Potsdam genau am Freitag zum Filmgespräch geladen war, zeigte er sich überrascht. „Werkschau – Lars Eidinger“ las er auf der Homepage des Filmmuseums. Für ihn, der ja bekanntlich nicht gerade an mangelndem Selbstvertrauen leide, wie Eidinger selbst sagt, erschien das dann doch eine Nummer zu groß. Denn in so vielen Filmen habe er schließlich noch nicht mitgespielt.
Es war dieses Unbehagen, mit dem der Berliner Schauspieler im ausverkauften Kinosaal sein Gespräch mit dem Moderator Knut Elstermann am vergangenen Freitag eröffnete. Eine leichtes Unbehagen, das einen selbst beschlichen hatte. Vor allem weil die Filme, in denen der hauptberufliche Theaterschauspieler bisher zu sehen war, wie gesagt recht überschaubar sind. Und weil es sich bei „Die Wolken von Sils Maria“, der im Vorfeld des Filmgesprächs zu sehen war, zwar um den aktuellsten handelt, der 38-jährige Eidinger hier jedoch nur auf eine Nebenrolle beschränkt ist, die ihm kaum Möglichkeiten gibt, sein Potenzial auszureizen. Vielleicht wäre es eine bessere Entscheidung gewesen, „Alle anderen“ zu zeigen, in dem Eidingers raumgreifende und facettenreiche Präsenz neben Birgit Minichmayr ausgezeichnet zur Geltung kommt. Doch „Alle anderen“ aus dem Jahr 2009 war vor „Die Wolken von Sils Maria“ gezeigt worden.
Dass sich dieses leichte Unbehagen an dieser „Werkschau“ dann recht schnell verflüchtigte, lag natürlich auch an dem überzeugenden Argument des ausverkauften Kinosaals, vor allem aber an Lars Eidinger selbst.
Es fällt schwer, Eidinger in diesem Gespräch zu beschreiben, denn Zuschreibungen wie ehrlich, bodenständig, offen oder herzerfrischend sympathisch wären zwar treffend, aber nicht ausreichend. Denn es sind Vereinfachungen. Und je länger man an diesem Abend Eidinger zuhörte, umso klarer wurde, was für ein analytischer Kopf dieser Schauspieler ist. Einer, der etwas nicht einfach als gegeben hinnimmt, sondern hinterfragt bis ins Detail und sich mit Vereinfachungen nicht zufriedengeben will. Lars Eidinger, so scheint es vor allem, ist ein Suchender. Einer der sich selbst verstehen will, um dann vielleicht auch besser zu verstehen, was um ihn herum geschieht.
Das war vielleicht die herausragende Erkenntnis an diesem Abend, die man so von einem Filmgespräch nicht erwartet hätte. Eine Erkenntnis, die nicht offen in Worten vermittelt wurde, sondern in der Offenheit, mit der Lars Eidinger sprach. Die Erkenntnis, dass erst ein ständiges Hinterfragen uns weiterbringt, weiterhilft und von der täglichen Gefahr zur Vereinfachung schützen kann. Das alles ist nicht unbedingt neu, in der Konsequenz, für die Eidinger in dieser Hinsicht steht, dann doch aber überraschend. Infragestellen als lustvolle Auseinandersetzung mit dem Selbst, die nie aber in einer hyperkritischen Selbstgeißelung und Menschenverachtung endet. Mit Brechts Zitat „Die Widersprüche sind unsere Hoffnungen“ brachte es Eidinger auf den Punkt. Und es überraschte einen nicht, dass dieser Satz, den Eidinger zuerst bei dem Schriftsteller und Dramatiker Thomas Brasch gelesen hatte, für ihn zu einer Art Leitspruch geworden ist. Denn auch aus einem Widerspruch heraus, der sich bei genauer Betrachtung auflöst und das Herausragende an der Darstellungskunst Eidingers offenlegt, ist er erst Schauspieler geworden.
Lars Eidinger hat sich nicht für die Schauspielerei entschieden, weil es ihn vor Menschen zog oder er das Bedürfnis hatte, ihnen zu gefallen, ihnen etwas zu geben. Schauspiel, das ist für Eidinger Selbsterkenntnis. Für diese Selbsterkenntnis, die ja nie Faktum, sondern immer nur ein sich ständig wiederholender Prozess sein kann, braucht Eidinger eine Art Spiegel, ein Gegenüber. Für ihn ist das Publikum zu diesem Spiegel geworden.
Eidinger vertritt die These, dass der Mensch, wenn er sich allein im Spiegel betrachtet, am ehesten sein wahres Gesicht zeigt. Wenn dem so sein sollte, was ja voraussetzt, dass der Mensch auch nur ansatzweise über seiner Selbst Klarheit haben muss, nutzt uns diese Erkenntnis im Alltag nur dahingehend, dass dieses Alleinsein vor dem Spiegel der einzige Moment ist, in dem wir unsere zahlreichen Masken fallen lassen. Aber was soll das bloß sein, dieses Selbst oder, besser gesagt, dieses Ich? Um der Antwort auf diese Frage näherzukommen, setzt sich Eidinger immer wieder dem Publikum aus, weil es ihn animiert, fordert und zu Höchstleistungen in diesem seinem Prozess der Selbsterkenntnis anspornt. Wir als Zuschauer können daher nur dankbar sein, dass Eidinger sich für diesen Weg entschieden hat. Ob nun im Film oder besser noch im Theater, wo Eidinger derzeit an der Schaubühne unter anderem immer noch als „Hamlet“ oder als „Tartuffe“ zu erleben ist.
Später äußerte sich Eidinger zu der gelegentlich zu lesenden Behauptung, dass er in seinen besten Momenten sich selbst spielen würde. Was das überhaupt sein soll, sich selbst zu spielen, fragte Eidinger. Und gab mit seiner Einschätzung, dass dies das Schwierigste überhaupt sei, die treffende Antwort. So mag die Frage, wer dem Publikum gegenübertritt, wenn Eidinger auf der Bühne steht, mehr als müßig erscheinen. Sicher ist, dass sich Eidinger mit größter Spiellust in diese Rollen stürzt. Das ist dann das Glück des Zuschauers.
Demnächst wird dieses Glück wieder an der Schaubühne erfahrbar sein, wenn Eidinger Anfang Februar in der Premiere von „Richard III.“ zu erleben ist. Aber ohne Widersprüche geht es auch hier nicht. Denn auf die Frage, von welcher großen Rolle er noch träume, sagte Eidinger, dass er nach Hamlet und nun nach Richard III. keine Antwort geben könne. Da sei nichts in Sicht, was dem gleichkomme. Und so sagte Lars Eidinger am Freitag im Filmmuseum in seiner ruhigen Art, dass er schon mal überlege, ob er sich vom Theater nicht verabschieden soll, um sich ganz dem Film zu widmen. Für uns Zuschauer bleibt da nur die Hoffnung, dass er das ausgiebig hinterfragt und erkennt, was für ein riesiger Verlust das sein würde.
Dirk Becker
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