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Recht hat immer der, der spricht? Was Worte alles können, verhandeln Richard Lingscheidt, Philipp Buder und Carolin Wiedenbröker (v.l.n.r.) in der Peter-Handke-Adaption „Kaspar“ am Hans Otto Theater.

© HL Böhme

Premiere im Hans Otto Theater: Die Macht ist ein biegsames Luder

Die „Kaspar“-Inszenierung am Hans Otto Theater, eine Adaption des Handke-Stücks von 1968, überzeugt mit Witz und Wucht.

Stand:

Sie stopfen ihm die Worte in den Mund bis er schweigt. Sie haben ihn in der Gewalt und ihre Gewalt ist die Sprache. Sie, das sind die Einsager, ein klassischer Chor in grauen Trainingsanzügen. Bei Peter Handke, dem Autor des Stücks, heißen sie auch Sprechfolterer. Und Folter prägt in der „Kaspar“-Inszenierung von Regisseur Fabian Gerhardt, die am Donnerstagabend im Hans Otto Theater Premiere hatte, fast jede Szene. Sie trifft nicht nur Kaspar, die Hauptfigur, die der Geschichte um den Findling Kaspar Hauser entliehen ist, sie trifft auch Ehefrauen, entführte Mädchen und angebliche Freundinnen. Und diese Folter ist deshalb so wirkungsvoll, weil sie fast ohne körperliche Gewalt auskommt. Schweigen hingegen wird zum Mittel der Macht: „Ich bin jetzt ich und als solcher nur für mich selber zu sprechen“, sagt etwa an einer Stelle ein Ehemann. Seine Frau begehrt auf, sie muss etwas mitteilen, doch an seinem Schweigen zerbricht ihr die Sprache. Sie stottert, sie schluchzt – und vergisst, was sie hatte sagen wollen.

Mit anderen Worten macht in einer nächsten Szene ein Mann sein Opfer gefügig. „Niemand würde dich sonst wollen, du bist dick und hässlich, ein Nichts ohne mich.“ Die Wirkung dieser Sätze ist verblüffend: Als er ihr kurz darauf einen Dildo-artigen Gegenstand reicht, umarmt ihn das Mädchen, das gut ein Verweis auf eine andere Hauser-Figur sein könnte: Natascha Kampusch. Sympathie mit dem Teufel ist manchmal die einzige Strategie, um zu überleben.

Um die Schwere des Stücks kurz aufzusprengen, singt der Chor dann aber einen anderen Rolling-Stones-Klassiker: „Paint it black“ – auf Deutsch und in einer schnellen Balkanbeat-Version. Wie eine außer Rand und Band geratene Truppe irrer Zirkusclowns tanzen die acht Schauspieler, allesamt Schüler an der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen, dazu über die Bühne. Ordnung? Disziplin? Vergiss es! Aber nur kurz.

Denn das Foucaultsche Prinzip der Überwachung hält hier alle umklammert. Sprache schafft Ordnung und Ordnung muss sein. Wessen Ordnung das ist, das bestimmt jeweils der, der spricht. In „Kaspar“ ist das oft der Chor der vielen. Sie wispern, schreien, beschwören Handkes Text, der eigentlich kaum ein dramaturgischer ist. Die Geschichte um das jahrzehntelang eingesperrte Kind Kaspar Hauser, das 1828 in Nürnberg auftaucht, nackt und ohne Sprache, ist eigentlich nur das Gerüst für diese fast philosophische Abhandlung über Sprache, Macht, Ohnmacht und Selbstdisziplin. Fabian Gerhard hat diesem spröden Stoff eine düster-rasante Theorie-Show abgerungen, die auch 45 Jahre nach der Uraufführung höchst aktuell ist.

Hilf- und sprachlos, wie auf einer Eisscholle – so heißt der erste Akt – kommt Kaspar (Philipp Buder) dahergeschwommen. Aufgewachsen in einem Verlies und ohne Gesellschaft, bringt Kaspar lediglich einen Satz mit in die Freiheit: „Ich möcht ein solcher werden wie einmal ein andrer gewesen ist.“ Die Einsager greifen ihn auf, zitieren, schreien ihn, unendlich oft: Konfrontiert mit den Menschen wird Kaspar klar, dass er gar nicht weiß, was der Satz bedeutet. Nackt und klein liegt er zu Beginn in seinem Verlies, einem schwarzen Kubus (Bühne: Matthias Müller) aus schimmernder Gaze. Er ist eingepfercht zwischen umgestürztem Tisch und Stuhl, beide überdimensional groß. Ihm bleibt keine Wahl, als auf die Einsager zu hören. Er schlottert am ganzen Körper vor Angst wenn sie ihm Worte entgegenbrüllen, die er nicht versteht. Doch „alles, was ich beim Namen nennen kann, ist nicht mehr unheimlich; alles, was nicht mehr unheimlich ist, gehört mir“, lernt er. Und passt sich an. Helfen wird das nicht. Sein erster Satz, die einzige Verbindung zu seiner Vergangenheit, kommt bald nur noch verkrüppelt über seine Lippen. „Du bist in Ordnung, wenn sich deine Geschichte von keiner anderen Geschichte mehr unterscheidet“, trichtern sie ihm ein. Weder Kaspar noch dem Mädchen nützt ihre Befreiung, die Sprache ist allgegenwärtig, die Macht ebenso. Wie ein eigenes Wesen wabert sie über die Bühne, lässt sich mal vom einen, mal vom anderen instrumentalisieren.

Da sind etwa die zwei aufgetakelten Freundinnen: Gemeinsam diktieren sie dem geflohenen Missbrauchsopfer die Regeln des Alltags: „Sprich deutlich“, befehlen sie, während sie dem Mädchen abwechselnd die Finger in den Mund stopfen oder Reiswaffeln. So angeekelt und blasiert kommen Corinna Pohlmann und Anna Katharina Schimrigk dieser Aufgabe nach, zupfen sich zwischendurch immer wieder ihre Bustiers und die Reifröcke zurecht, dass die Szene zu einem Höhepunkt des Abends wird. Absurd grausam und gleichzeitig unfassbar komisch wirkt die Macht, wenn diese beiden sie ausspielen. Sie halten sie hoch und reißen ihr zugleich die Maske vom Gesicht.

Eigentlich ist sie nämlich nichts weiter als ein biegsames Luder, und als das Opfer der beiden Freundinnen verschwindet, muss sich die Macht zwangsläufig auf die Seite der einen schlagen, um die andere zu demütigen. Ein Nein zu dem Spiel gibt es nicht. Wer schlau ist, lernt die Sprache der Macht und unterwirft sich freiwillig ihrer absurden Logik. Die Selbstdisziplin wird so zum Scharnier zwischen Macht und Ohnmacht. Ein Ausweg aber ist auch das nicht, das erkennt Kaspar am Schluss. Er erträgt die Sonne nicht mehr, sehnt sich zurück in sein Verlies. Doch er ist aufgeknackt, er war es mit dem ersten Wort, das er geschluckt hat. Noch einmal liefern die Schauspieler eine grandiose Show-Einlage, Hauser als Schlager-Schnulze. Doch egal, wie komisch sie sind, bei der Wucht ihrer Inszenierung bleibt das Lachen schon mal im Hals stecken.

Kaspar“ am 18. Dezember und am 17. Januar, jeweils um 19.30 Uhr in der Reithalle, Schiffbauergasse

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