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Kultur: „Die Männer haben sich schon immer geirrt“

Ein Gespräch mit dem spanischen Regisseur Carlos Saura

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Ein Gespräch mit dem spanischen Regisseur Carlos Saura Zu den großen Klassikern des europäischen Autorenkinos gehört der spanische Regisseur Antonio Saura. Für seine gesellschaftskritischen Parabeln erhielt er mehrfach Preise, seine Filme über Flamenco und Tango brachten ihm weltweiten Ruhm. Am Freitagabend weilte Saura zur Brandenburgisch-Spanischen Kulturwoche im Filmmuseum Potsdam. Nach der Begrüßung durch den spanischen Botschafter S. E. José Rodríguez-Spiteri wurde Carlos Sauras Film „Ana und die Wölfe“ in der DEFA-Synchronisation gezeigt. Herr Saura, immer wieder haben Sie spanische Themen aus Malerei, Literatur, Tanz und Mystik dargestellt. Es heißt auch, dass Sie der spanischste aller Regisseure seien. Das macht mir Angst. Ich persönlich trage bewusst nichts dazu bei. Ich glaube nicht an Nationalitäten, für mich hat das keine besondere Bedeutung. Aber natürlich ist man sehr von seiner Kultur geprägt. Es heißt, dass Sie schon früh mit Luis Buñuel, dem Klassiker des surrealistischen Films, vertraut wurden. Was hat Sie bei ihm am meisten beeindruckt? Die Familie meiner Mutter und die von Buñuel kannten sich. Sie sagte mir einmal, es gäbe einen Regisseur aus Aragón, der sehr extravagante Filme macht. Später, an der Filmhochschule in Madrid, konnten wir Filme von Buñuel sehen, heimlich. Außer den frühen surrealistischen Filmen hat sich mir ins Gedächtnis eingegraben „Land ohne Brot“ (Las Hurdes) – dieser Film war eine Offenbarung. Es war kein Dokumentarfilm im engeren Sinn, sondern sehr einfallsreich und imaginativ. Als ich 1960 erstmals in Cannes mit meinem Film „Los golfos“ war, stellte Buñuel, den ich persönlich noch nicht kannte, auch einen Film vor. Ich lud ihn zur Aufführung ein und von diesem Moment an wurden wir sehr enge Freunde. Er war ein wunderbarer, fantastischer Freund – es ergab sich eine so große Übereinstimmung, dass ich heute kaum noch zwischen dem guten Freund und dem Regisseur Luis Buñuel unterscheiden kann. Wir waren uns darüber einig, dass der Film sehr viel mit Begriffen wie Raum, Zeit, Erinnerung zu tun hat. Nachdem Buñuel meinen Film „Cousine Angélica“ gesehen hatte, sagte er sogar, er hätte viel dafür gegeben, wenn der Film von ihm gewesen wäre. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Zensur während der Franco-Zeit gemacht? Es gab zwei Zensuren. Die Vorzensur war die gefährlichere. Dafür haben wir manchmal das Drehbuch umgeschrieben, etwa für das Wort „Soldat“ „Samurai“ eingefügt. Oft haben wir uns indirekt und symbolisch ausgedrückt. So sagte die Zensurbehörde nach der Prüfung von „Ana und die Wölfe“: Kein Problem, das versteht sowieso keiner. Ihre Tanzfilme wurden weltberühmt. Was für eine Beziehung haben Sie zum Tanz? Als ich jung war, wollte ich Motorradrennfahrer, Ingenieur und Flamencotänzer werden. Ich nahm Flamencounterricht bei der berühmten Tänzerin „La Kika“, aber sie sagte mir, ich solle mich besser anderen Sachen widmen. Existiert eine besondere Beziehung zwischen Film und Tanz? Der Flamenco hat mir immer sehr gut gefallen. Ich habe viel darüber gelernt, was dieses Wunder im Zusammenspiel von Körper und Rhythmus bedeutet. Die Musik ist ein fundamentaler Teil in meinen Filmen, besonders in den sieben Tanzfilmen. Sie sind auch Fotograf. Was bedeutet Ihnen die Fotografie heute ? Ich weiß nicht, ob es gut ist, dass die Fotografie erfunden wurde. Vorher waren die Bilder, die nur in der Erinnerung existierten, viel blasser. Fotografien haben oft eine diabolische, barbarische, brutale Seite. Viele ihrer Filme kreisen um das Thema der Vergangenheit und der Erinnerung. Warum? Ich glaube, dass der Film besonders dazu geeignet ist, Erinnerungen und Vorstellungen hervorzubringen. Jeder hat im Kopf seine eigenen Filme. Meine Filme sind nie realistisch, vielmehr eine Art Flucht, in dem Sinne, wie Luis Buñuel gesagt hat: Das Reinste ist die Einbildungskraft. Was bedeutet der Film für Sie? Für mich ist der Film etwas sehr Persönliches, ein großer Teil meines Lebens. Ich könnte mein Leben gar nicht von meinen Filmen trennen, obwohl ich gar nichts daraus erzähle. Von Ihren zahlreichen Filmen, inzwischen rund 40, hatten einige Erfolg auf Festivals andere beim Publikum, andere bei beidem. War der Erfolg vorhersehbar oder überraschend? Manche hatten gar keinen Erfolg. Für mich war das immer eine riesige Überraschung. Zum Beispiel bei dem Film „Carmen“ sagten alle, das würde niemand interessieren. Aber er wurde enorm erfolgreich. Der Erfolg ist eine Art Pokerspiel, bei dem keiner weiß, wie es ausgeht. Sie haben einmal gesagt, dass Sie aufgewachsen sind mit der Idee, die Frau wäre komplett anders als der Mann, quasi über ihm stehend. Heute erlebt man oft, dass die Beziehungen zwischen den Geschlechtern viel partnerschaftlicher geworden sind. Haben Sie ein wenig Nostalgie nach der alten Zeit ? Nein, aber ich wurde in einer christlich-religiösen Kultur erzogen. Die Frau war unerreichbar und immer ein Geheimnis. Ich würde sagen, dass Frau und Mann so verschieden sind, ist wunderbar. Aber heute wollen die Frauen immer mehr den Männern ähneln. Das ist ein Irrtum. Denn der Mann irrt sich, schon immer. Er hat eine Gesellschaft geschaffen, die nicht weiß, wo es langgeht, ein Chaos. Wir sind jetzt im 21. Jahrhundert und haben immer noch die gleichen religiösen und politischen Konflikte. Das Gespräch führte Babette Kaiserkern.

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