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ZUR PERSON: „Die meisten Klischees sind wahr“
Wilhelm Genazino liest im Peter-Huchel-Haus – Ein Gespräch über die Schwierigkeit mit dem Glück
Stand:
Herr Genazino, wie glücksfern sind unsere Zeiten?
Ich fürchte, sie sind ziemlich glücksfern.
Das klingt jetzt aber sehr desillusionierend.
Ja Gott, das gehört immer mal wieder zu meinem Beruf, so etwas festzustellen. Ich gebe zu, das ist zurzeit nicht sonderlich originell. Das machen auch andere. Aber man muss das sagen, und ich glaube, dass dieser Sound unserer Zeit auch in der Literatur seinen Niederschlag finden muss.
Könnten Sie diesen glücksfernen Sound unserer Zeit etwas genauer beschreiben?
Man merkt deutlicher als sonst, also in weniger glücksfernen Zeiten, dass viele Menschen doch sehr mit ihrem Alltag, mit ihrer Existenz und ihrer Arbeit zu kämpfen haben. Das sieht man ja auch, wenn man durch die Städte geht. Das war früher anders. Viele sagen sogar, dass die wirklich schlechten Zeiten erst noch kommen. Ich hoffe aber, dass diese Leute nicht recht haben.
Wenn Sie sagen, früher war das anders, klingt da nicht das berüchtigte Früher-war-alles-besser durch?
Ja, das kann auch ruhig durchklingen, denn es stimmt. Die meisten Klischees sind wahr. Viele haben schon seit Langem mit einem solchen Rückschlag gerechnet, weil diese dauernde Prosperität nicht ewig so weitergehen konnte.
Trotzdem werden wir mit Glücksversprechen überhäuft, frei nach dem Motto: Alles ist möglich. Je öfter wir scheitern, umso glücksferner erscheint uns diese Zeit?
Das gehört nun mal zu unserem System.
Oder fällt es uns vielleicht nur schwer, Glück zu empfinden oder überhaupt zu erkennen? Viele Figuren in Ihren Romanen, ganz besonders auch Gerhard Warlich in Ihrem jüngsten Roman „Das Glück in glücksfernen Zeiten“, sind von einer ständigen Unzufriedenheit getrieben, von diesem diffusen Anspruch, dass es immer noch etwas anderes geben muss.
Das ist in jedem einzelnen Fall natürlich schwer feststellbar. Warlich ist teilweise ein Illusionist, weil er naiv genug war, sich hoch zu bilden und nun darunter leidet, nicht entsprechend beschäftigt zu sein.
Warlich ist promovierter Philosoph und arbeitet als Geschäftsführer in einer Wäscherei, wo er nach seinem Studium als Fahrer angefangen hatte. Was ist daran so schlimm?
Er musste irgendeinen gewöhnlichen Angestelltenjob annehmen. Das ist schon ein sehr harter Sturz.
Es fehlt Warlich die Kraft oder der Wille, seine Situation zu überwinden. Er verharrt in seinem Zustand und heitert sich in seinem Weltschmerz mit den abwegigsten Ideen und abstrusen Gedanken auf. Warum wird Gerhard Warlich nicht tätig?
Das ist auch seiner Bildung geschuldet. Ein philosophisch trainierter Mensch weiß natürlich, dass ein Mensch sich das Glück selbst schaffen muss.
Warum aber handelt er nicht?
Das ist eine gute Frage. Aber solch ein Handeln ist immer von gewissen personengebundenen Möglichkeiten abhängig, die jemand hat oder nicht. Es gibt sicher bei Warlich Reste von einer Glückserwartung, die aber durch die Wirklichkeit nicht gedeckt ist. Er überschätzt seine Bildung. Das hat mich auch gereizt, dieses Buch zu schreiben. Da überschätzt einer seine Bildung und muss feststellen, dass die Gesellschaft diese Bildung gar nicht braucht. Und wer Pech hat, bleibt am Ende sogar auf ihr sitzen.
An Warlich könnte man die These aufstellen: Wer zu viel denkt, tut sich keinen Gefallen, den es hindert einen am Handeln.
Da muss ich jetzt aber mal zurück fragen: Wie soll er denn handeln? Es gibt ja kein Handlungsmuster, das eine Figur mit seinen Voraussetzungen erfüllen müsste, um Erfolg zu erleben. Er müsste jemanden treffen, der ihm weiterhilft. Und er müsste sich, zumindest zum Teil, von seinen Flausen im Kopf trennen. Aber das kann der Warlich nicht.
Zum Glück für den Leser. Würde Warlich seinen Zustand ändern, wäre er für die Literatur nicht mehr interessant genug.
Das würde ich so nicht sehen, denn es kommt immer auf den Text an. Wenn wir heute Schriftsteller wie Heinrich Mann oder Hans Fallada hätten, wären Romane, in denen das völlig Normale eintritt, genauso relevant. Das ist der Punkt! Ein Autor muss in seinem Werk die Realität so mischen, dass seine gemischte Darstellung etwas über den Gehalt der wirklichen Realität preisgibt. Es müssen Einblicke in unsere Wirklichkeit frei werden, die ohne diesen Text nicht hätten frei werden können.
Die Wirklichkeit in Ihren Romanen hat es in sich. Ihre Helden haben nicht einfach nur Pech, da folgt oft ein Unglück auf das andere. Was fasziniert den Autoren Wilhelm Genazino mehr am Unglück und am Scheitern seiner Figuren daran? Das Komische, das darin aufleuchtet? Oder die Wahrheit, die sich so entblößt?
Alles zusammen, das Komische als auch das Bösartige und das Überraschende. Das tritt ja alles mehr oder weniger plötzlich ein und wirft die Menschen aus dem Gleis. Durch eine Dummheit seine Arbeit zu verlieren ist etwas ganz Konventionelles und bestimmt nach wie vor einen großen Teil unserer Wirklichkeit.
Den Lesern Ihrer Romane hilft zumindest das Lachen über solch ein Unglück hinweg.
Ich würde Sie da korrigieren wollen. Es ist nicht unbedingt das Lachen, sondern der Abstand und die Ironie. Das halte ich für eine Lebenserleichterung. Egal in welcher Situation der Mensch steckt, er muss Abstand nehmen von der Überschätzung all dessen, was uns passiert. Dann rutscht man auch nicht so tief in sein inneres Elend hinein. Wenn jemand darin geübt ist, sowohl die Niederlage als auch den Erfolg ironisch zu behandeln, kommt er wahrscheinlich besser über die Runden als jemand, der das alles im Verhältnis eins zu eins ernst nimmt.
Trotzdem, ganz ohne Glück geht es nicht. Was bedeutet das für Sie, Lebensglück?
Das sind ganz verschiedene Dinge. Eines der durchgängigsten Glücke ist die Literatur selbst, sowohl das Lesen als auch das Schreiben. Das ist etwas, das zum Glück seit meinem 15. Lebensjahr über mich gekommen ist und bis heute sein Glücksversprechen hält. So etwas kann ich nur empfehlen. Sich etwas zu suchen, was die widersprüchliche Persönlichkeit, die in uns allen steckt, auffängt. Es muss nicht immer die Kunst sein, es kann auch das Segelfliegen oder das Sammeln von Briefmarken sein. Etwas, das uns hilft, Abstand von der Welt zu bekommen.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Wilhelm Genazino liest am Montag, 20. April, im Wilhelmshorster Peter-Huchel-Haus, Hubertusweg 41, aus „Das Glück in glücksfernen Zeiten“. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 4 Euro. Kartenreservierung unter Tel. (033205) 62 9 63
Wilhelm Genazino, 1943 in Mannheim geboren, ist Schriftsteller und Theaterautor und hat sich vor allem mit seinen Romanen als ironischer Chronist Deutschlands einen Namen gemacht.
Genazino studierte in Frankfurt/Main Germanistik, Soziologie und Philosophie. Nach seinem Studium arbeitete er als Journalist bei Zeitungen und Zeitschriften, unter anderem bis 1971 beim Satiremagazin „Pardon“.
Seinen ersten Roman „Laslinstraße“ schrieb Genazino mit 22 Jahren. Mit seiner ab 1977 erscheinenden Romantrilogie „Abschaffel“ legte Genazino den Grundstein für seine bis heute anerkannte und gelobte schriftstellerische Arbeit. Bis heute hat er allein 17 Romane veröffentlicht.
Wilhelm Genazino, der sowohl Büchner-, als auch Kleist-Preisträger ist, lebt mit seiner Familie in Frankfurt/Main. D.B.
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