Kultur: Die Menschen in meinem Kopf
Das Thema Tod im Theaterstück „die therapie“
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Es war der letzte Satz, der die Lösung brachte. Vier simple Wort, die Verwirrung und Unverständnis zwar nicht mit einem großen Aha-Effekt, aber mit einem schleichenden Gefühl der Beklommenheit aufzulösen vermochten. Und das ganz bewusst. Denn für ihre neueste Produktion hatte sich der Jugendclub des Hans Otto Theaters mit dem Tod nicht nur eine von sich aus mit Fingerspitzengefühl zu behandelnde Thematik gewählt, sondern bettete es in seinem Stück „die therapie“ auch in eine Geschichte, die einerseits für Unbehagen durch das sorgte, wie sie dort auf der Bühne erzählt wurde, und in einem gleichzeitig eine seltsame Lust auf mehr auslöste. Am vergangenen Mittwoch feierte „die therapie“ in der Reithalle Premiere.
Sechs vollkommen verschiedene Menschen treffen in einem Therapiezimmer aufeinander, jeder von ihnen hat seine Geschichte und seine Geheimnisse, doch sie alle sind auf die eine oder andere Weise mit dem Tod konfrontiert. Lea (Rokhaya Niang) hat noch drei Monate zu leben, Caro (Felicitas Müller) denkt über eine Abtreibung nach, Alexandra (Valeria Schatov) ist eine Mörderin, Daniel (Alrik Wendel) sieht keinen Sinn in seiner Existenz, Knigge (Jonathan Rösch) ist Waise und Paula (Leonie Hämer) arbeitet als Sterbebegleiterin. Doch sind Verzweiflung, Angst und Trauer nicht die einzigen Gefühle, die bei dem Aufeinandertreffen dieser Charaktere allzu deutlich werden, sondern auch Wut und Arroganz gegenüber dem Unausweichlichen. Mal erhält man Einblick in die Gedanken einer dieser Figuren, mal sind es die Gespräche der Patienten untereinander oder mit den Therapeutinnen (Louisa Bohm und Kristina Kneppek), die den Zuschauer mit unbeantworteten Fragen und in den Raum geworfenen Thesen in der Luft hängen lassen. Denn seine Neugier befriedigen soll dieses Stück nicht. Eher erhält er einen Anreiz, selbst über dieses Thema nachzudenken.
Josephine Niang und Sophie Kopp (Spielleitung und Textfassung) ist ein unglaubliches Stück gelungen, dem man nur selten anmerkt, aus welcher jungen Feder es eigentlich entsprungen ist. Getragen wird die Geschichte aber von der großartigen Leistung der Schauspieler. Auf der Bühne entwickelt sich zwischen den Figuren neben dem unterschiedlichen Umgang mit dem Tod eine Geschichte, die den Zuschauer in Verwirrung stürzt. Er verirrt sich in einem Geflecht von dem, was wahr ist, und dem, was nur in der Vorstellung der Figuren passiert. Die Frage lautet schließlich: Existieren sie alle wirklich?
Es ist die Lust auf das schwer zu fassende Mehr, was „die therapie“ zu einem wundervollen Stück macht. Eine Lust, hinter die Fassaden dieser herrlich gezeichneten Charaktere zu schauen, ihre Geheimnisse und Geschichten zu entdecken und doch vor dem zurückzuschrecken, was sich vielleicht in den dunklen Tiefen dieser Figuren verbergen könnte. Aber am Ende sind es doch nur vier Worte, die sowohl Neugier als auch Angst auslösen, denn sie sind es, die diesem ganzen Treiben dort auf der Bühnen einen Sinn verleihen: „Willkommen in meinem Kopf!“ Chantal Willers
„die therapie“ wieder am Sonntag, dem 1. Juni, um 18 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse. Karten unter Tel.: (0331) 98 118
Chantal Willers
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