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Mehr als 1,4 Millionen Menschen singen deutschlandweit in Chören, ob in weltlichen oder kirchlichen Verbänden. An Nachwuchs mangelt es nicht.

© dpa

PNN-Serie: Macht Musik!: „Die Menschen wollen wieder aktiv singen“

Die Musikpädagogin Birgit Jank über die Macht der Weihnachtslieder und das Singen als deutsch-deutschen Zankapfel

Stand:

Frau Jank, wird Weihnachten bei Ihnen zu Hause gesungen?

Ja, wir singen auch jeden Advent in der Familie. Und es gibt eine schöne Nachbarschaftstradition. Am ersten Advent treffen wir uns, ich stimme mit der Gitarre die Weihnachtslieder an und wir singen gemeinsam und reden über das vergangene Jahr.

Warum singen wir eigentlich Weihnachtslieder?

Ich finde, Weihnachtslieder sind ein unverzichtbarer Teil unserer christlich-abendländischen Kultur. Es ist ein Lebendighalten einer jahrhundertealten Tradition und zugleich ein kulturelles Weitergeben von Generation zu Generation, wenngleich auch jede Generation die Möglichkeit hat, neue musikalische Formen zu finden. Beim liturgischen Singen in der Kirche verbindet das Singen uns mit dem christlichen Glauben. Diese Texte haben viele Bezüge zum Alten Testament. Der IS verbietet übrigens das Singen und nicht nur das, sie zerstören Instrumente und verbieten Kulturhandlungen. Wir sollten in einer humanen Gesellschaft etwas dagegensetzen, sollten Musik machen.

Ich habe den Eindruck, dass es immer mehr Konzerte zum Mitsingen gibt, auch in Potsdam – sehen Sie diese Tendenz auch?

Das erlebe ich auch bundesweit. Ich glaube, dass das ein ganz natürlicher Zyklus ist: je mehr Digitalisierung und passive Beschallung da ist, je bedrohlicher wir das intuitiv oder auch bewusst empfinden, desto mehr gehen wir wieder auf das Selbermachen, das individuelle Gestalten, auf eine bewusst gestaltete Gegenposition. Viele Menschen wollen nicht nur das Konzert, die wollen wirklich auch aktiv singen, etwa in einer neu erblühenden Laienchorszene.

Was ist eigentlich so anders und besser, wenn ich selber singe?

Wenn ich selber singe, ist das natürlich ein aktiver Akt. Ich kann selbst bestimmen, was und wie ich singe. Das Singen ist musikgeschichtlich gesehen eine der natürlichsten Tätigkeiten des Menschen. Es wurde immer schon gesungen, um eine Verständigung mit anderen Menschen zu haben, um sich mitzuteilen, um gemeinsam Freude zu haben. Es kann ein soziales Wohlgefühl erzeugen. Ich glaube, dass Singen auch eine Begleitung im Alltag sein kann - auch in Krisensituationen.

Also, wenn es uns mal schlecht geht oder wir Stress haben, sollen wir singen?

Ich meine das eher im therapeutischen Kontext. Es gibt auch die aktive Singtherapie. Denn es heißt, wenn man nicht reden kann über Dinge, kann man sie vielleicht heraussingen.

Was macht das Singen mit einem Menschen, ob er nun alleine singt oder in Gemeinschaft?

Aus den letzten zehn Jahren gibt es verschiedene medizinische Studien, die nachweisen, dass durch Singen ein guter Atem in den Körper kommt denn wir trainieren unbewusst, richtig und tief zu atmen. Klar ist, dass es auch für die Psyche positive Effekte haben kann, dass Singen aber auch die Muskulatur stärkt. Da muss ich schmunzeln, weil ich das als erfahrene Musikpädagogin und Sängerin ja selbst erfahren habe, aber nun wurde es auch wissenschaftlich bewiesen. Singen schärft aber auch den Geist, indem ich mich etwa mit Texten oder der Herkunft von Liedern auseinandersetze.

Adorno meinte ja hingegen, dass das Singen eher dumm macht.

Ich habe Adorno mit seinen Thesen da verstanden, denn er meinte das tümelnde Singen in ideologischen Gemeinschaften und das menschenverachtende Singen in Konzentrationslagern. Das ist im Westen oft missverstanden worden. Seit den 1970er-Jahren wurde das Singen dort deshalb immer mehr aus den Schulen gedrängt. Im Osten hat man schon immer gesungen, wenn man auch das mit kritischen Akzenten etwa in Hinblick auf ideologische Überfrachtungen sehen muss. Der Bereich Singen in Schulen war der erste und letzte deutsch-deutsche musikpädagogische Zankapfel. Erst in den 1990er-Jahren ist das Singen durch gemeinsame Bemühungen wieder populär geworden und verstärkt in die Schulen gekommen. Auch Lieder verschiedener Kulturen haben hier Eingang gefunden.

Ich habe eher schlechte Erinnerungen an das Singen im Musikunterricht: Mit 13, 14 Jahren stand man alleine vor der ganzen Klasse und musste singen. Und dann wurde das auch noch zensiert. Lust zu singen, hat das nicht gemacht..

Da hatten Sie schlechten Musikunterricht. Es gibt einen Punkt, wo sich der Osten und der Westen heute noch streiten, und das ist die Bewertung von Singen in Schulen. In den westlichen Ländern wird das heute oft gar nicht mehr gemacht. Im Osten erlebe ich oft, dass die Musiklehrer noch daran festhalten und zwar mit dem Argument „Was nicht bewertet wird, ist nichts wert“. Sie meinen es eigentlich gut, aber man kann bei Kindern und Jugendlichen viel kaputt machen damit. Denn es ist natürlich das Intimste, was ich habe - meine Stimme.

Wie kann denn diese Generation, denen das Singen zu Schulzeiten so verdorben wurde, heute ihren Kindern das Singen vorleben?

Man kann den Leistungsgedanken rausbringen. Dieser übliche Spruch: „Ich kann gar nicht singen“ – das stimmt zu 99,9 Prozent gar nicht. Sondern derjenige hat einfach Ängste. Das passiert im Kopf. Singen passiert nur, wenn ich die Situation, einen Anlass herstelle zum Singen. Die Eltern haben dazu oft immer weniger Zeit. Aber in der Familie gibt es vielleicht einen sangesfreudigen Opa, der mit dem Enkel singen kann.

Was würden Sie sagen – ist es eigentlich wichtiger zu singen oder ein Instrument zu lernen?

Beides ist wichtig. Wenn ich ein Instrument lerne, singe ich erstmal eine Melodie und spiele sie dann auf dem Klavier nach. Musikmachen, in welcher Form auch immer, passiert immer über das Ohr. Ich muss sie hören, verarbeiten und realisiere sie dann übers Singen oder über ein Instrument. Instrumentalunterricht muss das Singen miteinbeziehen. Der Zugang ist schwieriger zum Instrument, weil man dann auch in die Musikschule gehen muss, die Eltern müssen Geld dafür übrig haben. Singen ist erstmal leichter zugängig.

Das Gespräch führte Grit Weirauch

ZUR PERSON: Birgit Jank, Jahrgang 1956, ist Professorin für Musikdidaktik an der Universität Potsdam. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich der Liedforschung und der DDR-Musikerziehung.

Grit Weirauch

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