Kultur: Die Möglichkeit einer Liebe
Michael Kumpfmüller stellt seinen Roman über Franz Kafka und die Liebe im Literaturladen vor
Stand:
Gibt es zum Leben Franz Kafkas überhaupt noch viel zu sagen, fragt sich, wer die zweibändige Biografie von Reiner Stach gelesen hat. Dann nimmt man den Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ zur Hand, beginnt, mit äußerster Skepsis, zu lesen und muss sich nach spätestens 50 Seiten eingestehen: Oh ja, wenn derjenige, der hier über Kafka schreibt, Michael Kumpfmüller heißt.
Es sind die letzten Monate im Leben des bekannten Schriftstellers, die Kumpfmüller auf knapp 240 Seiten erzählt. „Die Herrlichkeit des Lebens“ beginnt mit einer Reise im Juli 1923 an die Ostsee, wo der 40-jährige Kafka, von seiner Tuberkuloseerkrankung schon merklich gezeichnet, im Kurort Müritz ein paar erholsame Tage bei seiner Schwester Elli und ihren Kindern verbringen möchte. Dort lernt er die 24-jährige Dora kennen, die in einem Ferienheim für jüdische Kinder in der Küche arbeitet. Und verliebt sich in sie. Der Roman endet im August 1924 in Prag, gut zwei Monate nach dem Tod Kafkas, während Dora, die bis zum Schluss an seiner Seite war, ihre Sachen packt, um zurück nach Berlin zu reisen, und in den Büchern von Franz Kafka blättert.
„Der Briefwechsel zwischen Franz Kafka und Dora Diamant ist nicht erhalten. Dora Diamant hat im Sommer 1924 zwanzig Notizbücher und 35 Briefe Kafkas mit nach Berlin genommen, die im August 1933 von der Gestapo bei einer Hausdurchsuchung konfisziert werden und seither als verschollen gelten“, schreibt Kumpfmüller am Ende von „Die Herrlichkeit des Lebens“. Das, was von Kafkas Leben überliefert ist – und mit Sicherheit gehört das Leben des Autors von „Die Verwandlung“, „Der Process“ und „Das Schloss“ zu dem am meisten erforschten unter den Schriftstellern – hat Kumpfmüller für seinen Roman als Gerüst genommen. Die Leerstelle, die der Verlust der 20 Tagebücher und 35 Briefe hinterlassen hat, überließ er seiner gezügelten Fantasie und zeigt uns den so oft als Zerrissenen und Verzweifelten beschriebenen und interpretierten Kafka als einen glücklichen Menschen. Das ist der Zauber, den Kumpfmüller beherrscht: Er erzählt uns Kafka, wie wir ihn kennen. Und gleichzeitig so, wie wir ihn wohl nie gedacht hätten: als heillos Verliebten, als von der Sehnsucht nach Dora fast Zerfressenen und, da ist er uns wieder bekannt und gleichzeitig auch ganz nah, als immer wieder Zweifelnder.
Es ist eine überwältigende Liebe, die Dora und Franz Kafka, Kumpfmüller nennt ihn immer nur den „Doktor“, dort an der Ostsee erleben. Ein stilles, immer wieder verwunderndes Glück. Und Kumpfmüller erzählt davon in einem still-poetischen Ton, mit dem er den Leser diese Liebe ganz nah erleben lässt, ohne dass der sich dabei als Voyeur fühlen muss. Beide wollen sie zusammen sein, und das ausgerechnet in Berlin, das von der Inflation so stark betroffen ist. Doch am Anfang steht zuerst einmal die Trennung. Kafka reist zurück nach Prag, Dora bleibt in Müritz zurück. Und die Liebe der beiden spielt weiter in fast täglichen Briefen.
„Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt“, zitiert Kumpfmüller aus Kafkas Tagebuch aus dem Jahr 1921. Mit Dora hat Kafka, dem Tod so nahe, diese Herrlichkeit des Lebens unverhüllt erleben dürfen. Mit Michael Kumpfmüller darf der Leser Anteil haben an diesen seltenen Herrlichkeitslebensmomenten. Dirk Becker
Michael Kumpfmüller liest am morgigen Donnerstag um 20 Uhr im Literaturladen Wist, Brandenburger/Ecke Dortustraße. Der Eintritt kostet 5 Euro
Dirk Becker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: