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Kultur: Die Mutter mit dem Butter-Messer

Bejubelte Vorpremiere von „Bühnenarrest“ des Potsdam-Duos „Schwarze Grütze“ im Theaterschiff

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Nötig sind sie nicht, die beiden Schilder: Nummer 1 mit „Klatschen“ und Nummer 2 mit „Jubeln“, die von Herren der ersten Reihe auf Zuruf ins Publikum gehalten werden. Und es ist der harmloseste Witz, den Dirk Pursche und Stefan Klucke bei ihrem „Üben vor Publikum“, wie sie die Vorpremiere zu „Bühnenarrest“ nannten, im Theaterschiff bieten. Weder die Singstimmen noch die der schickrot lackierten Gitarre (Stefan Klucke) und dem Bass (Dirk Pursche) entlockten Töne sind dabei der Trumpf der „Schwarzen Grütze“. Der liegt ganz eindeutig in der Wortakrobatik, mit der die Beiden Ohren und Gehirne ihres Publikums bezwingen.

Ihre Themen suchen sich die beiden im Menschlichen, Allzumenschlichen, das sie ordentlich durch den Sprachwolf drehen. Getreu ihres Mottos: „Schwarzer Humor ist die Abmilderung der Realität unter Vorgabe ihrer Überhöhung“, machen sie auf kleine Widersprüche des Alltagslebens aufmerksam.

Zu Beginn loben sie hintersinnig das Publikum dafür, dass es dem Homing-Trend (moderne Stubenhockerei) widerstanden hatte, denn was kann man Zuhause an Schönem alles machen: Beine epilieren, Staub wischen, Zeugen Jehovas zum Nachbarn schicken und keinen Igel auf der Herfahrt überfahren. Die Igel kommen, wie die Zeugen Jehovas und auch Herr Peters, der sich im letzten Programm umgebracht hatte, immer wieder in waghalsigen zungenbrecherischen Reimen vor. Die Vorgeschichte des Mannes, der den „Suizid als Lebensaufgabe“ betrachtet, liefern sie im schönsten Schüttel- und Stabreimdeutsch. Harmlos beginnt die Tragödie: „Vor seinem Fernseher sitzt ein Mann / schaut sich die Lottozahlen an“, als Lottogewinner jedoch hat er keine Chance angesichts der Invasion von Journalisten und Tierschützern. So dass er flieht und dabei alles verspielt: Die Frau haut ab, die Bank zieht die Karte ein, also Selbstmord muss es sein ... Gewaltige absurdlogische Geschichten entspinnen sich in Windeseile und ab und zu bleibt dem Publikum das Lachen im Halse stecken.

So beim Feuerwehrmann, der im Büro gegenüber von Irene sitzt – „Irene gähnt/ Ich zähle ihre Zähne“ – aus dieser Situation durch einen Einsatz befreit wird und sich New-Yorkeske Verhältnisse wünscht: „Wir haben auch zwei Neubaublocks / aber da fliegt keiner rein“, und am Ende mit „Wehrmacht/ Wehrmacht/ Wehrmacht das Feuer aus“ seine wahren Ansichten preisgibt. Inspiriert von einem Leserbrief versteigen sich die beiden zur Forderung nach einer „Raucherendlagerdeponie“, denn „man kann Raucher doch nicht einfach so entsorgen“ und: „es inhalieren auch die Nieren“. Ihr Fett ab kriegen die politisch Korrekten mit dem Schild „Keine Werbung“ am Briefkasten, die aber den niesenden Gast ganz ungeniert fragen: Willst du ein „Tempo“? Und dabei noch nicht mal bemerken, dass sie dem Markennamen auf den Leim gegangen sind. Solch kurzzeitige Übermoralisierung wird durch den schön schwarzen Song des von seiner Mutter geschüttelten Jungen, der „Mutter mit dem Butter-Messer“ töten möchte, wieder gemildert. Analytisch einwandfrei und auch mimisch auf dem Höhepunkt: Der sächselnde Liebhaber, der mit „So Mädel, jetzt ran hier“ zum Äußersten kommt und mit „Weiter geht''s Mädel / fertsch“ deutlich zeigte, dass die Mädels so wohl wenig Lust haben, dem demographischen Abschwung Schwangerschaften entgegenzusetzen. Jubel und Klatschen müssen am Ende nicht mehr eingefordert werden. Schnell lassen sich die Sänger auf ganz viele Zugaben ein, darunter eine wortlose Darstellung der letzten 80 Jahre: Vom Betteln über Hitlergruß und Victory-Zeichen zum aktuellen Handaufhalten. So schnell kann kritische Analyse sein. Lore Bardens

Lore Bardens

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