Kultur: Die Nibelungen zwischen Sportplatz und Caféteria
Die Kurse Darstellendes Spiel der Voltaire-Gesamtschule studierten das alte Heldenlied szenisch ein
Stand:
Man versuchte, in behaglichen Innenräumen zu verweilen. Aber eine Schar tapferer Schüler trotzte allen Widrigkeiten des Wetters. Als heldenhafte Ritter und wackere Burgfräuleins kämpften sie auf dem Schulhof der Voltaire-Gesamtschule für die große Sache des Theaters. Obwohl nur spärlich kostümiert, ließ sie auch die Kälte nicht von ihrem Weg abbringen. Selbst als ein Wolkenbruch sie noch im ersten Akt zur Pause zwang, dachte keiner von ihnen an einen Abbruch ihres Heldenlieds. Und ein Heldenlied war es wahrhaftig, was die Mitglieder der Kurse für Darstellendes Spiel da auf die Bühne, oder besser gesagt auf den Schulhof, brachten: An insgesamt drei Schauplätzen gaben sie immerhin das gesamte Lied der Nibelungen. Nun gut, dann und wann ließen sie die eine oder andere Zeile des Originaltextes aus, den sie obendrein kräftig modernisiert hatten. Doch die Geschichte des Epos erzählten die Zwölftklässler von Anfang bis Ende, was dazu zwang, die Rollen mehrfach zu besetzen.
Das erste Bild diente als Prolog: Siegfried von Xanten (Sebastian Giertz/Alexander Timm) führt das Publikum nach Isenland. Einer Sandgrube, irgendwo zwischen Turnhalle, Sportplatz und Cafeteria. Brunhilde (Julia Popke/Sandra Schulze/Nicole Boetzel), die Königin des Landes, liegt inmitten eines Kreises aus brennenden Fackeln. Und noch funktioniert das Zusammenspiel mit dem Wetter wie bestellt: Von den umstehenden Bäumen fallen sanfte Tropfen im Abendlicht auf die im Sand liegende Darstellerin herab. Doch nicht von den Überresten des letzen Niederschlags, vom tapferen Siegfried selbst wird diese aus dem Zauberschlaf erweckt. Siegfried führt das Publikum jedoch weiter nach Worms am Rhein, an den Hof des Burgunderkönigs Gunther (Christoph Meyer/Sascha Koch), der verzweifelt versucht, seine Schwester Kriemhild an den Mann zu bringen. Als der treue Hagen von Tronje (André Meinecke/Norman Richter) von den Heldentaten Siegfrieds erzählt, dieser dann noch mit in die Schlacht gegen die tatsächlich sächselnden Sachsen zieht und dem König zu Brunhilde als Braut verhilft, erwählt ihn Kriemhild (Anne Dribbisch/Caroline Samusch/Aline Schewitza) zum Mann. Spätestens nachdem der kühne Siegfried mit seinen Gefährten zu martialischen Klängen und auf Drahteseln in den Burghof eingeritten war, war ihm das liebreizende Fräulein ohnehin verfallen. So weit so gut, alles scheint sich alles in Frieden und Eintracht zu entwickeln.
Doch es kommt, wie es kommen muss: Der unweigerliche Zickenkrieg zwischen den Fürstinnen bricht aus. Welche die schönere ist, ist dabei ebenso nebensächlich, wie wessen Figur von Hirschragout und Schwangerschaften mehr geschädigt wurde. Welche den mächtigeren und ehrbareren Mann habe, ist hier die Frage. Kriemhild hat noch eine besondere Gemeinheit auf Lager: Mit einem Gürtel beweist sie, dass zuerst Siegfried mit Brunhilde im Bett war, ehe deren eigener Mann diesen Schritt wagen durfte. Brunhild, von dieser Bloßstellung nicht eben angetan, sinnt auf Rache. Der durch sein Drachenblutbad ja eigentlich unverwundbare Siegfried wird an der einzig verwundbaren Stelle vom treuen Hagen aufgespießt. Nun wiederum ist es Ehefrau Kriemhild, der nach Rache ist.
Nur vordergründig ist sie mit den Mördern ihres Mannes versöhnt, ehe es im Lager des Hunnenkönigs Etzel (Axel Hülsebeck), das dort liegt, wo für gewöhnlich in den Pausen Tischtennis gespielt wird, im Schein lodernder Fackeln zum grausigen Finale der Geschichte kommen kann.
Ein Jahr lang probten die über 30 Darsteller an dem Mammutprojekt. Ebenso viele halfen mit, etwa indem sie die Kulissen malten oder Geld für die aufwändige Technik wie drahtlose Mikrofone auftrieben oder nun am Mischpult für den Ton saßen.
Das verdient anhaltenden Applaus, der ob der beherzten Darsteller nur verstärkt werden kann.
Moritz Reininghaus
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: