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Kultur: Die NS-Zeit als Geschichte einer Familie Der „Jud Süß“-Regisseur Veit Harlan und die Erben

Viel weiter als drei Generationen reicht das familiäre Gedächtnis nicht, dann beginnen Hörensagen, Rätselraten, Spekulation. Im Falle eines prominenten Opas ist das wohl anders, erst recht, wenn seine Erbschaft gnadenlos deutlich ist und er selbst Veit Harlan hieß.

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Viel weiter als drei Generationen reicht das familiäre Gedächtnis nicht, dann beginnen Hörensagen, Rätselraten, Spekulation. Im Falle eines prominenten Opas ist das wohl anders, erst recht, wenn seine Erbschaft gnadenlos deutlich ist und er selbst Veit Harlan hieß. Was der Vertraute von Propagandaminister Goebbels und Regisseur des Films „Jud Süß“ in seinem Leben war, wie seine Kinder und Enkel mit solchem Erbe umgehen und was letztlich bleibt, davon erzählte ein beispielhaftes Projekt des Thalia Kinos am Wochenende. Neben „Jud Süß“, dem Dokumentarfilm „Harlan – Im Schatten von Jud Süß“ und anderen Filmen gab es entsprechende Podiumsdiskussionen.

Natürlich war „Jud Süß“ (1940) das große Zugpferd des Programms. 20 Millionen Deutsche sahen ihn damals, mindestens ebenso viele überall in Europa. Allerdings sei dieser Bestseller auch zu einem „Mordinstrument“ geworden, meinte Sohn Thomas in der langen Dokumentation von Felix Moeller über Harlans Kinder und Enkel. Man verordnete ihn der SS und der Polizei als „Pflichtlektüre“. Kinobesucher sollen danach Juden verprügelt, KZ-Aufseher Häftlinge gequält und mancher Fronteinsatz im Osten mit ihm „vorbereitet“ worden sein. Einen direkten Zusammenhang zum Holocaust konnte man dem Star-Regisseur nach dem Krieg aber nicht nachweisen, zweimal wurde er freigesprochen – von deutschen, nicht von alliierten Gerichten! Der „Fall Veit Harlan“ enthält alles, was heutiger Geist weder verstehen noch verlässlich ausdrücken kann: Die karrierebesessene Nähe des Filmers zur Macht, wie Klaus Mann sie auch in „Mephisto“ beschreibt, das Verhältnis von Kunst und Propaganda, von Rezeption und Werk, von Vor- und Nachgeborenen, Schuld und Sühne. Im Babelsberger Thalia ging es unter dem Motto „Nationalsozialismus als Familiengeschichte“ aber auch um das Zusammenspiel von Ideologie, Geschichte und Privat.

Der Eintritt war frei, das gemischte Publikum kam in Scharen, Saal Zwei war im Nu proppevoll. Freilich wurde zu „Jud Süß“ nur vorgelassen, wer die Einführun“ von Frank Stern gehört hatte, das Gesetz verbietet unkommentierte Aufführungen. Der Film selbst beruft sich auf eine wahre Begebenheit um 1730, als der württembergische Herzog Karl Alexander Joseph Süß Oppenheimer zu seinem Finanzminister macht, was letztlich zum Ruin des Landes und zu revolutionären Zuständen führt. Nach dem offenen Aufruf, „den Juden“ an sich zu bekämpfen, wo man ihn fände, endet der Film mit dem Tod dieses Burschen an einem besonders hohen Galgen. Der propagandistische Trick des ersten Filmregisseurs im Reich und seines Helfers Goebbels war billiger Sophismus: Traurig genug, wenn die Deutschen dieses „Einer wie alle“ so massenhaft in sich hineinfraßen und den blutigen Spießer, den Totschläger in ihnen losließen!

Nun kann man 70 Jahre später moralisieren und politisieren, wie es diese Diskussionsrunde nach über vier Stunden Filmkost tat. Auch der Stasi-Opa wurde erwartungsgemäß bemüht. Eigentlich überflüssig. Felix Moellers Film „Harlan. Im Schatten von Jud Süß“ gab bereits alle möglichen Antworten. Nicht unwichtig, wenn Harlans erste Frau eine Jüdin war, die ihn verließ, um einen Ihresgleichen zu heiraten. Seine Familie hatte somit selbst eine jüdische Seite. Enkelin Jessica Jacobi drückte das so aus: Großvater Veit arbeitete mit diesem Film direkt an der Auslöschung ihres Opas mütterlicherseits. Er ließ sich ja auch ganz gern von jüdischen Bewunderern umschwärmen, arbeitete gern mit ihnen zusammen – sogar in Prag, bei den Ghettoszenen für „Jud Süß“.

Die große Sippe der Nachgeborenen reagierte unsicher und uneins auf das Erbe des 1964 auf Capri verstorbenen Ahnen. Ihre Meinungen reichten von „abscheulich“ bis „habe mir den Film viel schlimmer vorgestellt“. Frauen aus der zweiten Generation wechselten den Namen. Eine heiratete als „Wiedergutmachung“ einen Juden, eine andere konvertierte sogar. Enkelin Nele sagt: Wichtig, davon zu wissen – aber „das bin nicht ich!“ Alice aus Paris spricht nicht mal deutsch, glaubt aber trotzdem, es gäbe „genetische Spuren“ ihres völlig unbekannten Opas in ihr.

Verdammt hat Veit Harlan von allen Familienmitgliedern keiner, nicht bis ins dritte Glied. Gerold Paul

Gerold Paul

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