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Kultur: „Die Pilgerfahrt nach Lübeck“

Hans Francks meisterhafte Novelle wird heute bei den Bachtagen Potsdam gelesen

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Hans Francks meisterhafte Novelle wird heute bei den Bachtagen Potsdam gelesen „Die Pilgerfahrt nach Lübeck“ ist Hans Francks erfolgreichstes Buch. Heute wird es auszugsweise im Rahmen der Bachtage Potsdam um 19.30 Uhr in der Französischen Kirche am Bassinplatz von Helmut Zhuber gelesen. Dazu erklingen Musikstücke Bachs und Buxtehudes, von denen in der Novelle erzählt wird. In einer autobiografischen Skizze schrieb Hans Franck (1879-1964) gegen Ende seines Lebens: „Abend für Abend erklingt Musik; jahrzehntelang fast ausschließlich Werke Johann Sebastian Bachs, neuerdings in erhöhtem Maß auch Schöpfungen von Friedemann Bach und Johannes Brahms.“ Franck hielt Johann Sebastian Bach für den größten deutschen Musiker. In Erzählungen, Romanen und Gedichten versuchte er sich dem Geheimnis dieses schöpferischen Lebens zu nähern. Höhepunkte der künstlerischen Auseinandersetzung mit Bach sind der Roman „Johann Sebastian Bach. Die Geschichte seines Lebens“ von 1960 und die Novelle „Die Pilgerfahrt nach Lübeck“ von 1935. In der „Pilgerfahrt nach Lübeck“ erzählt Franck, mit Dokumenten belegt und künstlerisch frei, Bachs Reise 1705/1706 von Arnstadt in Thüringen, wo er Organist war, nach Lübeck zu Dietrich Buxtehude, dem berühmtesten Orgelspieler seiner Zeit. Bach erklärte zwar dem Arnstädter Konsistorium, bei dem er angestellt war, er wolle sich bei Buxtehude im Orgelspiel vervollkommnen, und erbäte sich deshalb vier Wochen Urlaub; insgeheim aber hoffte er, Buxtehudes Nachfolger als Organist an der Lübecker Marienkirche zu werden. Die Übernahme dieser Stelle war an die Bedingungen geknüpft, Buxtehudes Tochter zu heiraten und den alten Buxtehude bis an sein Lebensende zu versorgen. An diesem „Doppelkreuz der Bedingung“, wie Fanck es nennt, wären dem Gerücht nach schon zwei Bewerbungen gescheitert. Die Versorgung Buxtehudes sei dabei das leichtere Kreuz gewesen, aber seine Tochter zu heiraten, hätten weder der Hamburger Johann Mattheson noch der Hallenser Georg Friedrich Händel vermocht. Auch Bach geht nach reichlich überzogenem Urlaub wieder nach Arnstadt zurück, ohne sich um die Stelle beworben zu haben, obwohl er sich mit Buxtehude bestens und mit dessen dreißigjähriger Tochter zunehmend besser verstanden hatte. Hans Franck stellt eindringlich dar, dass sich Bach nicht gegen Buxtehudes Tochter entscheidet, mit der er zur Not wohl hätte zusammen leben können, sondern dass er sich für die Wahrheit seines Lebens und seiner Kunst entschied. Hans Francks vom Expressionismus beeinflusste Sprache wirkt gelegentlich manieriert, gelegentlich schwülstig und pathetisch. Und der Buxtehude in den Mund gelegte Vergleich zwischen sich und dem greisen Simeon, der das Christuskind erkannt, während er nicht beim ersten Blick gesehen habe, dass er mit dem zwanzigjährigen Bach den Vollender der deutschen Orgelmusik vor sich habe, mag auf heutige Leser peinlich wirken. (In einer späteren Novelle Hans Francks wird sich Robert Schumann mit Johannes dem Täufer vergleichen, der in dem jungen Johannes Brahms denjenigen erkannt habe, der „der auf Erlösung wartenden Welt das musikalische Heil“ bringen werde.) Aber trotz dieser Einschränkungen ist Francks Novelle lebendig geblieben. Die zarte Liebesgeschichte zwischen Bach und seiner späteren Frau Maria Barbara, die Hoffnungen von Buxtehudes Tochter auf Bachs Liebe sowie die auf musikalisches und menschliches Verständnis gegründete Verbundenheit zwischen Buxtehude und Bach sind meisterhaft gestaltet. Jürgen Israel

Jürgen Israel

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