Kultur: Die Präsenz des Löwen
Sibylle Lewitscharoff stellte „Blumenberg“ vor
Stand:
Plötzlich einen friedlich sich räkelnden Löwen auf seinem Teppich vorzufinden, sei ja auch eine Form der Adelung, sagt Sibylle Lewitscharoff mit einem Schmunzeln. Zwar macht sie in ihrem aktuellen Roman „Blumenberg“ den Münsteraner Philosophen Hans Blumenberg zur Hauptfigur, was vor allem ihrer persönlichen Wertschätzung für dessen Werk zu verdanken ist. Doch erst mit der Idee, dem Philosophen, in dessen Texten sich tatsächlich das Bild des Löwen überall verstreut findet, eines dieser deutungsmächtigsten Tiere an die Seite zu stellen, sei der Roman entstanden. Trotzdem die Eingangsszene deutlich macht, dass man es als Leser mit einer Fiktion und keinesfalls mit einer Blumenberg-Biografie zu tun bekommt, entspricht Lewitscharoffs Roman nicht der herkömmlichen Machart. Es ist ein Büchlein, das sich so ungewöhnlich liest, weil hier ein theologisch-philosophischer Gegenstand nicht diskutiert, sondern mit einer so überreichen und melodischen Sprache literarisch nur immer wieder angespielt wird, dass die Lektüre eher plötzliche Neugier weckt, als eine Vertrautheit mit dem Werk Hans Blumenbergs voraussetzt.
Überraschend ist auch die Vortragsweise der Autorin. Als Sibylle Lewitscharoff am Sonntag in der Villa Quandt ein längeres „Nachtstück“ aus ihrem Roman vorliest, scheint es fast, als sei der Text auf den Vortrag hin konzipiert worden. Mit reizendem schwäbischem Dialekt formt sie die Silben, bringt sie die Sätze mit gezielter Betonung zum Klingen, dass rasch ein szenischer Eindruck entsteht. Blumenberg in seinem nächtlichen Arbeitszimmer, sinnierend über die Stärke der Mondmetapher. Den Löwen will er da schon nicht mehr missen, er liebt ihn. Längst spendet das nur für ihn sichtbare Tier ihm Trost und Gelassenheit, ist ein „fabelhafter Kraftstrom“ zu seinen Füßen. Und als Blumenberg auf seine behaarten Handrücken blickt, freut er sich, denn „ein wenig fellhaft war er ja selbst“. Noch öfter wird der Leser des Romans auf solch sympathische Komik stoßen. Doch hat Lewitscharoff mit diesem Kapitel auch bewusst eines ausgewählt, das zu den wenigen zählt, worin sich, bei aller fiktiven Vorherrschaft, tatsächlich biografische Notizen über Hans Blumenberg finden.
Auf Privates und Familiäres habe sie natürlich aus Respekt, aber auch leichten Herzens verzichtet, so die Autorin. Doch Blumenbergs Herkunft und Erfahrungen als Halbjude im Dritten Reich flechtet sie ebenso in den Text wie den Ärger über seinen ungleich erfolgreicheren Kollegen Jürgen Habermas. Dagegen völlig frei erfunden ist das tragische Schicksal der vier Studenten und Blumenberg-Verehrer im zweiten Handlungsstrang des Romans. Ein erfülltes Leben, aber auch der Blick auf einen Löwen ist keinem von ihnen beschert.
Immerhin könne sie aus eigener Beobachtung bestätigen, dass bei dieser „Mischung aus Begabten und Halbverrückten“, die Philosophie studierten, nicht wenige dem Leben abhanden gekommen seien, versichert Lewitscharoff. Ein Problem sei sicher der Personenkult, die Schwärmerei für bestimmte Professoren und der Irrtum, in einem brillanten Rhetoriker auch einen anleitenden Pädagogen zu vermuten. Sie selbst, verrät Lewitscharoff, habe immer das Werk Blumenbergs bewundert. Persönlich begegnet sei sie diesem Philosophen nie. Sie wäre aber auch als Studentin niemals in eine seiner Sprechstunden gegangen. Daniel Flügel
Daniel Flügel
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: