
© Andreas Klaer
Kultur: Die Puppe an seiner Seite
Besuch beim Figurentheater-Workshop von Neville Tranter im T-Werk
Stand:
Schlaff und kraftlos sitzt Zeno auf dem Stuhl, die Beine fast achtlos übereinandergeschlagen, den Kopf auf den verschränkten Armen abgelegt. Seine Körpersprache drückt Verzweiflung aus oder Trauer oder Erschöpfung. Alles könnte es sein. Zeno hebt den Kopf, das Leben kehrt zurück in seinen Körper. Ein Leben, das nicht das seine ist. Denn Zeno ist eine Puppe, erst sein Puppenspieler macht seine Bewegungen möglich. Beim Figurentheater-Workshop „The Power of the Puppet“ im Rahmen der Internationalen Sommerakademie im T-Werk in der Schiffbauergasse ging Zeno durch viele Hände, wurde von ihnen zum Leben erweckt. Doch nur in den Händen seines Besitzers und Kursleiters Neville Tranter fand er seinen wahren Charakter.
Puppen sind Akteure auf der Bühne. Wie jeder Schauspieler übernehmen sie Rollen, interagieren miteinander und treiben die Geschichten voran. Als zentrales Ausdrucksmittel auf Theaterbühnen ist das Wissen um ihre Eigenheiten von besonderer Wichtigkeit. Es sind diese Gedanken, die der Schauspieler Neville Tranter in seinen regelmäßigen Workshops vermitteln will.
Mit den dreizehn Teilnehmern in Potsdam sprach er dabei jeden Aspekt des Puppenschauspiels an, vom Material der Puppe über die Rolle des Schauspielers bis zu seiner Stimmtechnik. Der gebürtige Australier lehrt jedoch nicht nur etwas, sondern lernt selbst auch bei jedem Workshop etwas Neues. „Durch das Spiel der Teilnehmer mit Zeno bekomme ich immer wieder einen neuen Blick auf die Möglichkeiten des Schauspiels mit ihm“, sagt er. Immer spricht er von Zeno als Person, nie von der Puppe. Schon allein das sagt so viel über ihn und sein Verständnis über das Puppenspiel aus. Mit seiner großen Nase, seiner Glatze, den zusammengekniffenen Augenbrauen und der rosigen Farbe wirkt er fast wie ein echtes Lebewesen. Denn Zeno ist für Tranter mehr als ein Gegenstand, den er auf der Bühne benutzt. Er spielt mit ihm, lässt ihn ein Eigenleben entwickeln, tritt gern zurück, um Zeno die Bühne zu überlassen. Auch jetzt steht Zeno stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Fast beiläufig unterstreicht Neville Tranter seine Ausführungen zum Umgang mit der Puppe mit Bewegungen von Zenos Mundklappe. Als würden die Worte von der Puppe selbst kommen.
„Das Bild auf der Bühne entsteht immer erst im Moment des Innehaltens. Erst in der Ruhe kommt die Reaktion beim Publikum an. Wichtig ist der Ablauf von Aktion und Reaktion.“ Obwohl Tranter mit seiner freien linken Hand gestikuliert, sind die Augen der Teilnehmer wie gebannt auf Zeno gerichtet, dessen große Augen mit dem traurigen Ausdruck schon ohne ausgedehntes Schauspiel ein Gefühl der Beklommenheit beim Betrachter hervorrufen.
Die Kunst, seinem Zuschauer gerade in den Momenten der Stille eine Menge zu vermitteln, sei es bei einem Theaterstück oder einem seiner Workshops, hat Tranter beinahe perfektioniert. Ehrfürchtig lauschen sie seinen Ausführungen, sind gebannt von seiner ruhigen Art. „Die Puppe besitzt diese natürliche Unschuld. Der Zuschauer nimmt ihm die Verwunderung ab, mit der er seine Hand betrachtet, als würde er sie zum ersten Mal sehen.“ Wieder werden seine Worte begleitet von winzigen Bewegungen, die, so marginal sie auch sein mögen, unglaubliche Emotionen transportieren. So könnte man ihm ewig zuhören.
Neville Tranter lehrt nach dem Prinzip „Probieren ist besser als zu studieren“. Jeder Teilnehmer soll nun eine kurze Sequenz mit Zeno spielen. Doch schnell wurde klar, dass mit jedem Schauspieler eine neue Interpretation derselben Szene herauskommen wird. Winzige Veränderungen des Ablaufs können dabei einen großen Effekt haben. Zeno spiegelt dabei spezielle Charakteristika des Schauspielers. Man hatte beinahe den Eindruck, selbst seine Mimik würde sich anpassen. Eine unangenehme Vorstellung, die jedoch nur von seiner Lebendigkeit zeugt. Für Tranter ist das nichts Neues. „Jeder Schauspieler findet seinen eigenen Rhythmus. Zeno ist zwar als Archetyp eines alten Mannes mit clownhaften Zügen gebaut, doch ich habe ihn auch schon als Baby, Teufel oder Diktator gesehen.“ Sogar Chinesisch habe er ihn schon sprechen gehört. Es komme dabei immer auf die Glaubhaftigkeit des Schauspielers an. Jeder Zweifel, jeder Gedanke der Workshop-Teilnehmer spiegelte sich in Zenos Körpersprache wider. Vor Unsicherheit zusammengesunkene Schultern, Nervosität in der zaghaften Führung der Hand, alles wurde direkt sichtbar.
Die 35 Jahre Bühnenerfahrung Tranters sind bei diesen kleinen Übungen deutlich zu erkennen. „Schau, wenn du den Kopf hier wirklich auf dieser Linie bewegst, ist der Effekt viel größer. Und vor allem die Pause nicht vergessen, alles ist ein Frage des Rhythmus!“ Details, die dem Laien nicht auffallen würden, jedoch von großer Wichtigkeit sind.
Neville Tranter geht mit dem Enthusiasmus eines kleinen Kindes an das Spiel mit den Puppen. Ständig ist außer seinem leisen, fröhlichen Kichern nichts zu hören. Die Puppe mache ihn auf der Bühne zu einem besseren Schauspieler, meint er. Und obwohl es sehr schwer ist, als Schauspieler komplett zurückzutreten und der Puppe die Bühne zu überlassen, ist gerade dies das zentrale Element des Puppenschauspiels. Neville Tranter lebt für seine Puppen, gibt ihnen einen Charakter, verleiht ihnen eine Stimme und haucht ihnen auf spielerische Art und Weise immer wieder neu Leben ein.
Chantal Willers
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