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Kultur: Die Schicksale hinter den Gesichtern Doppel-Premiere im Filmmuseum Potsdam: Der Ausstellungskatalog und „Frauen-GULag am Eismeer“

Endlich hielt sie ihn in Händen. Bärbel Dalichow war sichtlich stolz auf den druckfrischen Katalog zur Dauerausstellung „Babelsberg – Gesichter einer Filmstadt“ (Henschel Verlag).

Endlich hielt sie ihn in Händen. Bärbel Dalichow war sichtlich stolz auf den druckfrischen Katalog zur Dauerausstellung „Babelsberg – Gesichter einer Filmstadt“ (Henschel Verlag). Viel Arbeit, so die Filmmuseums-Chefin bei der Präsentation des Katalogs am Donnerstag, habe sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern in das Werk gesteckt. Der eigene Perfektionismus sowie die knappe Kasse hätten die Fertigstellung des schmucken Büchleins immer wieder verzögert. Das Warten hat sich gelohnt. Jetzt liegt ein Katalog vor, der die Geschichte des Babelsberger Studios wunderbar bebildert und mit informativen Essays versehen anhand der gedrehten Filme erzählt. Bedauerlich ist nur, dass die Geschichte abseits der DEFA stark unterbelichtet bleibt. Zugleich führte Bärbel Dalichow vor, wie schwierig, aber auch wie spannend der Umgang mit Filmgeschichte ist. Dazu zitierte sie einen Satz aus dem Katalog, der nüchtern beschreibt, wie die 29-jährige Ursula Rumin, die am Drehbuch von Slatan Dudows „Frauenschicksale“ mitgearbeitet hatte, im September 1952 – nur drei Monate nach der Uraufführung des Films – aus dem Westen nach Ostberlin gelockt, verhaftet und schließlich in das stalinistische Lager Workuta in Sibirien verschleppt wurde. Was sich hinter solch sachlichen Beschreibungen verberge, erahne man oft selbst nicht, so Dalichow, und schlug einen Bogen zur zweiten Buchpräsentation des Abends, bei der Ursula Rumins Erlebnisbericht „Im Frauen-GULag am Eismeer“ (Herbig Verlag) vorgestellt wurde, in dem die Betroffene die Geschichte ihrer Verschleppung auf über 300 Seiten eindringlich erläutert. Obwohl sie lange Zeit vermutete, dass Kollegen aus den Studios sie bei den Sowjets angeschwärzt hatten, hegt Rumin heute keinen Groll gegen die DEFA. Ebenso wenig wie gegen „die Russen im Allgemeinen“, wie die Autorin in der Diskussion mit Richard Buchner von der Potsdamer Gedenkstätte des ehemaligen KGB-Gefängnisses darlegte. Schließlich habe es unter den Gefangenen neben zahlreichen anderen Nationalitäten auch viele Russinnen gegeben, wodurch man sich näher gekommen sei. Und durch die Bevölkerung habe sie immer wieder Solidarität erfahren. Hass empfinde sie nur gegen die militärischen Schergen des stalinistischen Systems, erläuterte sie ihre Gefühle über das geschehene Unrecht erstaunlich sachlich. In Kombination mit den beiden gezeigten Filmen, „Deutsche in Stalins Lagern“ (2004) des Potsdamer Regisseurs Erik Tesch, für den Rumin ein zweites Mal nach ihrer Befreiung den weiten Weg nach Workuta auf sich nahm und vor allem durch „Frauenschicksale“ selbst wurde an diesem Abend Filmgeschichte in ihrer vollen Doppelbödigkeit sichtbar. Während Regisseur und Nationalpreisträger Dudow nach der Premiere des Films sacht kritisiert wurde, wurde Rumin der Spionage bezichtigt und von den Sowjets verhaftet und verschleppt. Für die heute 82-jährige Rumin muss es als reiner Hohn erscheinen, dass in „Frauenschicksale“ einer Protagonistin Stalins „Dialektik des Materialismus“ zur Lektüre ans Herz gelegt wird; das Konterfei des Generalissimus ziert – gemeinsam mit Zeichnungen von Käthe Kollwitz - so manche Wohnstube im Film. Das Gesicht jenes Mannes also, dessen Namen für Rumins Verfolgung steht und dessen Tod ihre Freilassung erst ermöglichte. Heute mag der Film, der zeigen sollte, dass der Sozialismus auch für Frauen der bessere Weg sei, an bestimmten Stellen zum Lächeln animieren. Angesichts eines „Frauenschicksals“ wie dem von Ursula Rumin, lässt er jedoch vor allem nachdenken. Vor allem darüber, dass sich Filmgeschichte nicht von der allgemeinen Geschichte ablösen lässt und darüber, wie groß die Illusion ist, die Filme mitunter erzeugen. Während Dudows Film treffend das Leiden der Frauen an den Folgen der NS-Zeit und in der jungen Bundesrepublik zeigt und die Gleichberechtigung der Frau auf dem Gebiet der Justiz im Osten als positives Gegenbild hierzu aufbaut, erlebte Ursula Rumin zur gleichen Zeit eine andere Realität: Vor allem Männer waren es, die sie bereits in der Ostberliner Untersuchungshaft entgegen jeder Rechtsstaatlichkeit misshandelten. Für Ursula Rumin, aber ebenso für die Filmstadt Potsdam, schloss sich am Donnerstag ein Kreis. Nach ihren traumatischen Erlebnissen wollte und konnte sie nicht mehr mit der DEFA zusammen arbeiten, die DDR nicht mehr betreten. Jetzt übergab sie dem Filmmuseum ihr Exemplar des Drehbuchs von „Frauenschicksale" sowie einige persönliche Gegenstände wie Fotos und Verträge. Der Abend zeigte mehrfach, wie Frauen zu Opfern wurden. Zugleich mahnte er dazu, auch einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die Schicksale zu betrachten, die sich hinter den Gesichtern einer Filmstadt verbergen. Moritz Reininghaus

Moritz Reininghaus

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