
© Stefan Gloede/MPS
Kultur: Die Schönheit der Stimme
Zwei Konzerte in der Friedenskirche und dem Raffaelsaal feiern die Kraft des Gesangs
Stand:
Am Anfang aller Musik war der Gesang, weil der Mensch erkannte hatte, dass dem nur gesprochenen Wort immer etwas fehlen würde. Eine Breite und Emotionalität, eine Tiefe und Betroffenheit; vor allem aber etwas Unerklärliches, das weit über den Wortsinn hinausreicht und den Menschen, der dem Gesang zuhört, berühren und erheben kann.
Am Anfang des Eröffnungskonzertes der Musikfestspiele am Freitag in der ausverkauften Friedenskirche stand der Gesang. Jesús Mendéz betrat die Bühne und ging für einen Moment in sich. Dann schnippte er mit den Fingern der rechten Hand einen Rhythmus, ein Muster, das nur er kannte, und ließ seine Stimme erklingen. Und genau in diesem Moment passierte es, dass sich die Stille in der Friedenskirche mit etwas füllte, das sich sogleich auf den Zuhörer übertrug. Dieses Berührende, Überwältigende und so schwer zu Beschreibende, weil es nur für den Moment so intensiv wirkt, durch die anschließende Reflexion aber sofort seine Reinheit, seine Klarheit verliert. Mendéz sang zwei Lieder mit dieser so rauen, so dramatischen Stimme des Flamenco, in der sich Leiden und Glückseligkeit aufs Heftigste verbinden, die nie genügen kann, was eigentlich gesagt und ausgedrückt werden soll und die nicht selten an den Klagegesang eines verletzten Tieres denken lässt.
In diesem Jahr, ihrem 60-jährigen Jubiläum, haben sich die Musikfestspiele dem Mittelmeerraum unter dem Motto „Zwischen Traum und Wirklichkeit“ zugewandt. Geschichtlich und musikalisch ein scheinbar unendliches Spielfeld. Doch wie schon das ganze Streben und Entstehen von Kulturen, das Mit- und Gegeneinander im Mittelmeerraum in dem Motto treffender kaum auf den Punkt gebracht werden konnte, war auch das Eröffnungskonzert in seiner kontrastreichen Dramaturgie ein grandioser Auftakt, das in gerade einmal zwei Stunden so viel aufzeigte und verband. Zwei Reden ergänzten dieses musikalische Programm. Der Historiker David Abulafia, dessen umfangreiches Buch „Das Mittelmeer. Eine Biografie“ im vergangenen Herbst erschienen ist, gab einen geschichtlichen Abriss und einen eher düsteren Blick auf das Heute, in dem vor allem die Musik das noch Verbindende sein kann. Der ägyptische Rechtswissenschaftler, Politiker und Friedensnobelpreisträger Mohamed El-Baradei dagegen blickte nicht ganz so desillusioniert auf den Mittelmeerraum in unserer Zeit, solange die Musik als vermittelnde Sprache noch genug Kraft hat.
In der Friedenskirche entfaltete sie diese Kraft auf eindrucksvollste Weise. Auf der einen Seite Jesús Mendéz, die Sängerin Ghalia Benali und der Oudspieler Moufadhel Adhoum und das Ensemble Su Cuncordu ’e su Rosariu, die für das Ursprüngliche, das Einfache und Bodenständige standen. Daneben das israelische Ensemble Barrocade, das die kunstvolle Weiterentwicklung des Ursprünglichen vertrat. Komponisten wie Geminiani, Barbella und Boccherini, Albéniz und Sanz haben Volkslieder und Tänze aufgegriffen und in ihren Werken verarbeitet und zu neuen Höhen getrieben. Allzu schnell kann diese Kunstfertigkeit zu einer Art Leblosigkeit führen, der jegliche Ursprünglichkeit fehlt. Aber nicht bei Barrocade. Mit welcher Lust die Musiker sich in die Stücke warfen, das hatte Kraft und Saft und Fleisch. Allein wie Jacob Reuven auf seiner Mandoline brillierte, mit welcher Hingabe und Leidenschaft er immer wieder sein Instrument bis an die Grenzen forderte, das war purer Genuss. Und gelungener Gegensatz zu Moufadhel Adhoum. Der begleitete Sängerin Ghalia Benali für zwei Lieder. So sparsam sein Spiel auf der arabischen Laute Oud an diesem Abend blieb, so beeindruckend war es, weil es auf wunderschöne Weise wieder diesen Kosmos offenbarte, den nur die Musik öffnen kann. Ein paar Töne nur und die Welt ist eine andere, voller Reichtum, Schönheit und Märchenhaftem.
Schönheit auf ganz eigene Weise präsentierten auch Giovanni Ardu, Mario Corona, Antonio Migheli und Roberto Iriu vom Ensemble Su Cuncordu ’e su Rosariu. Vier Männer, vier Stimmen, die in der Tradition des Dominikanerordens der Bruderschaft vom Rosenkranz liturgische Gesänge mit dem sardischen Volksgesang verbinden. Wenn sie singen, stehen sie ganz eng beieinander, die Gesichter einander zugewandt, wie abgekapselt von der Außenwelt. Dann erheben sich die Stimmen zu einer rauen Schönheit, die einen nur ergreifen kann. Denn in dieser Vierstimmigkeit erlebt die Harmonie auch immer ihren Grenzbereich, zeigen die Stimmen in ihrer Eigenwilligkeit, wie schwer dieser Zustand zu halten ist. Wem Religion verschlossen bleibt, der sollte Su Cuncordu ’e su Rosariu hören, um eine Ahnung zu bekommen, welche Kraft im Glauben gefunden werden kann.
Wer Glück hatte, durfte Su Cuncordu ’e su Rosariu beim Eröffnungskonzert und am Samstag im Raffaelsaal der Orangerie Sanssouci erleben. Zusammen mit dem neunköpfigen Ensemble Odhecaton präsentierten die vier Sänger hier mehrstimmige Gesänge über die Passion. Und gerade im Kontrast zwischen dem erdigen Ausdruck von Su Cuncordu ’e su Rosariu und der Erhabenheit von Odhecaton lag der besondere Reiz dieses sehr intensiven Konzerts. Odhecaton, das ist nicht Überwältigung durch Masse, sondern Bekehrung und Berührung durch die Harmonie von neun Stimmen. Das erfüllte sogar den musealen Raffaelsaal mit seinen zahlreichen Gemälden und den biblischen Themen mit einem inneren Strahlen. Was für ein Auftakt!
Dirk Becker
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