Von Andrea Schneider: Die Schönheit deutscher Gedichte
Der Schauspieler Ben Becker mit seinem Programm „Der ewige Brunnen“ im Nikolaisaal
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Für jeden Psychologen wäre der vergangene Sonntagabend höchstwahrscheinlich ein Fest gewesen.
Ben Becker, durch diverse verbale Kraftakte und Drogenräusche zum „enfant terrible“ der deutschen Schauspielszene geworden, war im gut besuchten Nikolaisaal zu Gast, um mit seinem aktuellen Programm „Der ewige Brunnen“ das Potsdamer Publikum von der Kraft und Schönheit deutscher Lyrik zu überzeugen. Diese hatte es ihm spätestens seit den gemeinsamen Weihnachtsabenden mit Ziehvater Otto Sanders und den väterlichen Freunden Bruno Ganz und Gerd Wameling angetan. Das jährliche Ritual, den 1955 erschienenen, von Ludwig Reiners herausgegebenen Lyrikalmanach „Der ewige Brunnen. Ein Hausbuch Deutscher Dichtung“ herauszuholen und stunden-, ja nächtelang daraus zu lesen, hatte der damals gerade die Schauspielschule besuchende Ben nicht vergessen können.
Und so zieht er nun durch die Landen und wirbt mit seinem zweistündigen Programm für die großen Dichterfürsten Schiller, Goethe und seinen ganz persönlichen Favoriten Heinrich Heine. Selbstverliebt, erwartbar provokant, mit großer Gestik, dem Stiefvater als Schlüsselfigur und profilierend über väterliche Freunde – ein wahres Fest für Psychologen.
Aller Germanistenanfeindung zum Trotz hält er diesen für einen frühen Kommunisten und beendet dessen Gedicht um den „störrigen König“ Belsazer, der, übermütig geworden, gegen Gott lästert und daran umkommt, mit zum Kampf erhobener Faust. Leider macht ihm das Publikum, dessen Klatschen etwas zu früh einsetzt und die Geste so vom Text spaltet, einen kleinen Strich durch seine Dramaturgie. Aber die Beschwerde wird mit einem Augenzwinkern vorgetragen, schließlich ist er bemüht, sich zusammenzureißen an diesem Abend. Hatte man ihm doch bei seinem letzten Besuch hier am Platz einen etwas lustlosen Abgang von der Bühne unterstellt. Den würde er an diesem Abend keinesfalls wiederholen. Dafür aber hält er es wie sein kraftvoll und aufsässig vorgetragener König. Er lästert, was das Zeug hält. Spottet über zu Guttenberg und dessen Doktorarbeit, schimpft und flucht über nicht angemessene Wertschätzung oder über anmaßend untalentiertes Publikum. Selbiges ist eher amüsiert als geschockt, kennt es doch die etwas aufsässigen, selbstverliebten Allüren des Schauspielers. Und so freuen sich alle über die zahlreich vorgetragenen Anekdoten aus Beckers Künstleralltag, die der hervorragend interpretierten Hochkultur die passende Würze verleihen.
Ist das Betragen schon keine Überraschung, so kann man das übrigens auch zur Auswahl der Gedichte sagen. Ben Becker greift auf den literarischen Kanon deutscher Lyrik zurück und lässt weder den „Erlkönig“, noch den „Handschuh“ oder „Den Panther“ außen vor.
Aber das passt zu seinem etwas missionarischen Gedanken, die Jugend von heute davon zu überzeugen, dass Schiller und Goethe wirklich coole Typen waren, die ihren Spaß hatten und die mit ihrer Schreibe tatsächlich etwas sagen wollten und sich Gedanken machten.
Wegen Goethes letzter Worte hatte er mit dem im Laufe des Abends immer wieder erwähnten Ziehvater Otto Sander, der augenscheinlich eine Schlüsselfigur im Leben Ben Beckers ist, einen nächtlichen Disput. Um die Frage nach „..mehr Licht“ oder „mer liescht hier so schlecht“ endgültig zu klären, fuhr er tatsächlich nach Weimar ins Goethe-Haus. Dort traf er aber auf eine Schulklasse voller gelangweilter junger Mädchen, die es von der Qualität und der Dramatik des „Zauberlehrling“ zu überzeugen galt.
Ben Becker als Mentor der weiblichen Jugend, herrlich. Aber den „Zauberlehrling“ kann er! Wie er den etwas anmaßenden jungen Mann liest, der denkt, er beherrsche die dunklen Mächte bereits ausreichend, um sich mit seinem Meister zu messen. Und dessen Selbstbewusstsein schließlich in Verzweiflung umschlägt, als ihm das eigene Tun über den Kopf wächst. Hervorragend!
Becker liebt die balladesken Erzählungen der großen Dichter und trägt sie so fesselnd vor, dass man sich dem Bann der Geschichten um Ritter, Könige und Seeräuber nicht entziehen kann. Man möchte ihm nur empfehlen, das Humorige nicht zu vergessen, denn der in der Zugabe vorgetragene Ernst Jandl steht im sehr gut! Aber natürlich fehlen „Ottos Mops“ Dramatik und Pathos nicht, und ohne den kann der etwas grobschlächtige, die großen Gesten liebende Künstler scheinbar nicht. Es sei ihm gegönnt. Was ist schon eine Party ohne Partykönig.
Andrea Schneider
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