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Kultur: Die Sprache der Liebe

„Vergessene Liebesbriefe“ in der Villa Quandt

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Helen betrügt ihren Mann mit Werner, der ihr im Juli 1991 mit schmeichelnder Dankbarkeit schreibt: „Du zeigtest mir, was Frauen vermögen zu geben“. Nur einige Wochen später allerdings bedankt sich Werner mit ganz ähnlichen Worten bei Lara und kurz darauf bei Irene für die erlebten Wonnen und die sexuelle Erfüllung. In Irene verliebt sich der Casanova dann ernsthaft. Doch als er ihr sein Herz zu Füßen legt, lässt sie ihn eiskalt abblitzen. Was weiter mit Werner geschieht, weiß man nicht. Seine Briefe bleiben Fragment und erzählen nur eine von vielen mal glücklich beseelten, mal heiter amüsanten, oft aber berührenden und sehr traurigen Liebesgeschichten, die Falko Hennig und Robert Weber in ihrem Buch „Ohne Dich ist alles Staub“ versammelt haben. Am Sonntagvormittag werden sie in der Villa Quandt daraus vorlesen.

Für ihre „vergessenen Liebesbriefe aus hundert Jahren“, so der Untertitel dieses 2012 erschienenen Sammelbands (Rowohlt-Kindler Verlag 18,95 Euro), durchforsteten die beiden Berliner Autoren zwei Jahre lang nicht nur etliche Briefwechsel, sondern auch Nachlässe, Tagebücher, Lebenserinnerungen und Privatnotizen, die sie in Archiven, aber oft auch auf Flohmärkten, auf Dachböden, in Altpapierhaufen oder einfach als lose Zettel auf der Straße gefunden hatten. Anhand dieser intimen Aufzeichnungen unbekannter, teils aber mit Fotos abgebildeter Personen ist so ein Buch entstanden, das die Liebe in all ihrer Vielfalt spiegelt und sie sowohl als Kraftquell für höchstes Glück als auch für tiefstes Unglück zeigt. Zärtlich verliebte, schwärmerische, sehnsuchtsvolle oder leichtfüßig frivole Zeilen wechseln sich ab mit bitter verzweifelten, flehentlichen Worten über das Ende oder die nicht erreichte Zweisamkeit. Indem die Liebesgeschichten in diesem Buch, jeweils nach Epochen geordnet, von den Feldpostbriefen aus dem 1.Weltkrieg bis hin zu den heutigen E-Mails reichen, werden stets Zeitgeist und Geschichtsabschnitte gleichermaßen beleuchtet. Dabei erstrecken sich einige dieser Aufzeichnungen und Briefdokumente, wie die von Irene, die ihren Mann Walter 1927 kennenlernt und 1943 im Krieg verliert, über lange Zeiträume, während etwa die zu Herzen gehende Ost-West-Romanze zwischen der Duisburgerin Eva und Roman aus Guben sich allein in Briefen aus dem Jahr 1977 niederschlägt. Eine interessante Lektüre also, die vor allem zeigt, dass die Liebesgefühle und der Umgang mit ihnen stets gleich geblieben sind, derweil der Stil und natürlich auch die Sprache, um diese Emotionen auszudrücken, sich über die Jahrzehnte hinweg gewandelt haben. So findet sich anfangs noch recht viel Pathos, Gott- und Vaterlandstrara in den Gedanken und Versen, die Verliebte, oft hoffend und wartend, auf ihre Briefbögen und Tagebuchseiten schreiben. Ohne ihre Poesie einzubüßen, weicht die blumige Sprache bald aber schon offeneren, direkten Worten. „Deine Hände, ich umfange Dich und küsse Deine warmen Lippen, Du meine Lebenswärme.“, schreibt Reinhold 1916 aus dem Schützengraben an seine Frau. Im Jahr 2000 schreibt Paul seiner Frau per E-Mail: „Deine Schönheit lässt die Sterne heller erstrahlen und um Deinen Arsch wären früher Kriege entbrannt.“Daniel Flügel

Lesung am jetzigen Sonntag um 11 Uhr, Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47. Eintritt kostet 8, ermäßigt 6 Euro

Daniel Flügel

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