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Kultur: Die Sprache des Affekts

Mieke Bal im Einstein-Forum über Kunst und ihre Betrachtung

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Mieke Bal im Einstein-Forum über Kunst und ihre Betrachtung Was macht die Kuh im Wohnzimmer, wieso fährt das Spielzeugauto über die Wandtapete und warum fliegt die Frau durch die Baumkronen ? Das fragten sich manche Zuschauer bei der Video-Installation „The House“ der finnischen Film- und Foto-Künsterlin Eija-Liisa Ahtila, die auf der letzten Documenta gezeigt wurde. Nicht nur hier, auch sonst stellt moderne Kunst häufig Fragen an den Betrachter, die dieser oft nicht beantworten kann, auch wenn er sich emotional angesprochen fühlt. Die renommierte niederländische Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal war von der dreiteiligen Video-Installation beindruckt genug, um sie einer vielschichtigen Analyse über die Beziehungen zwischen Kunst und Betrachter zu unterziehen. Aus Anlass der internationalen Tagung „Passion (s) in Culture (s)“ im Einstein-Forum formulierte Mieke Bal luzide Gedanken über die „Die Sprache des Affekts“ in der Kunst. Der Begriff „Affekt“ wird in der Literatur- und Kunst-Theorie zunehmend ernst genommen. Für Mieke Bal ermöglicht die Beschäftigung mit Affekten „Kunst jenseits der Trennungen von Geist und Körper oder Erkenntnis und Gefühl zu begreifen“. Grundvoraussetzung dabei ist, dass „Affekt“ nicht als primitive, emotionale Überwältigungsstrategie aufgefasst wird, sondern als Praxis der Aufmerksamkeit, als eine Art affektive Anteilnahme. „The House“ repräsentiert diesen kulturellen Wahrnehmungsmodus der Offenheit gegenüber dem Anderen, Fremden auf vieldeutige, spielerische Weise. Märchenhafte Elemente, ungewöhnliche Geräusche und Bilder vermitteln eine Art „verrückter Wahrnehmung“, in der traditionelle Bildstrukturen und Erzählmuster vorhanden sind und zugleich aufgelöst werden. Auffällig ist, dass die Hauptfigur keinen emotionalen Ausdruck zeigt, weder Freude noch Trauer. Sie lädt nicht zur sentimentalen Identifikation ein, wohl aber dazu, ihr zu folgen. Schon die dreiteiligen Videowände, in die der Zuschauer sich hineinbegibt, haben etwas Bezwingendes. Wie die Hauptfigur, die nach Gesprächen mit psychotisch traumatisierten Patienten konzipiert wurde, erlebt der Betrachter die wachsende Auflösung der Grenzen zwischen Selbst und Anderem. Was erst wie eine Erzählung anmutet, verliert zunehmend zeitliche, räumliche und figürliche Bezüge. Als wäre er selbst im Kopf der Ich-Erzähler, hört der Zuschauer disparate Geräusche, Stimmen, sieht absonderliche Dinge, erlebt die Vorstellung, wie andere Menschen in die Hauptfigur hineingehen und sich dort mehr oder weniger lange aufhalten. Je seltsamer jedoch die scheinbaren Halluzinationen werden, desto „normaler“ agiert die Hauptfigur, desto realistischer wird ihre Erzählung, umso klarer der Darstellungsmodus insgesamt. Dem Zuschauer allein obliegt die Bürde der Entschlüsselung, den „Atem anzuhalten“ und nach dem Sinn zu fragen. An zentraler Stelle, wenn keine erzählerische Kausalität mehr vorhanden ist, steht die verbale Imaginierung von einem Padelboot, das nie gezeigt wird. Warum ein Boot?, fragt Mieke Bal. Dies Boot ist eine Metapher für die Flüchtlingsboote, die so zahlreich auf den Meeren dieser Welt herumziehen. Fern von historischer Logik, fern von aufklärerischer Fortschrittsüberzeugung, geschehen immer noch die absonderlichsten Dinge auf dieser Welt. Der Hauptfigur obliegt es, davon zu erzählen. Mehr noch: Indem sie die Welt in sich hineinlässt, symbolisiert sie den affektiven Austausch zwischen Kunstwerk und Betrachter, wird zu einem Medium des Affektes und veranschaulicht so letztlich, auch wenn dies explizit nicht gesagt wurde, eine moralisch begründete Haltung der Welt gegenüber. In diesem Sinne lieferte auch Mieke Bals Vortrag ein brillantes Beispiel - in bester humanistischer Tradition - für einen affektiven Wahrnehmungsmodus, der auf innerer Anteilnahme und rationaler Analyse beruht. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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