Von Dirk Becker: Die Sprache schmecken
Holger Bülow ist einer von 21 neuen Schauspielern am Hans Otto Theater – morgen spielt er den Clavigo
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Am Ende des Gesprächs, Holger Bülow zieht sich gerade die Jacke über, sagt er, dass „Clavigo“ am morgigen Freitag eine Abenteuerreise werde. Aber da schwingen keine Befürchtungen in seiner Stimme mit, dass diese Premiere in der Reithalle A dadurch vielleicht beim Publikum durchfallen könnte. So wie Holger Bülow das sagt, mit einem feinen Lächeln und ein wenig in sich gekehrt, klingt das nach Abenteuer und Wagnis, die Theater immer wieder zu einem besonderen Erlebnis machen können.
Die Sonne scheint noch einmal kraftvoll an diesem Herbstvormittag. Holger Bülow sitzt an einem der Cafétische auf der schmalen Terrasse der Theaterkantine. Sein Blick ist von offener Neugier, das leicht lockige Haar zerzaust, sein Gesicht wirkt müde. Holger Bülow erklärt das mit einer leichten Grippe, die ihn ein paar Tage im Griff hatte, jetzt aber allmählich wieder abklingt.
Waren vielleicht die vergangenen Tage, die wachsende Anspannung vor der Premiere zu viel für ihn?
Holger Bülow schüttelt den Kopf. Mit den arbeitsintensiven Vorbereitungen für „Clavigo“ in den vergangenen zwei Wochen habe das nichts zu tun. „Die Grippe geht gerade mal wieder um“, sagt er, lächelt und schaut kurz über das Terrassengeländer hinüber zum Tiefen See.
Seit Mitte Juni ist Holger Bülow in Potsdam. Er ist einer von 21 neuen Schauspielern im Ensemble vom neuen Intendanten am Hans Otto Theater, Tobias Wellemeyer, der mit Ibsens „Die Wildente“ am heutigen Donnerstag sein Theaterdebüt in Potsdam gibt.
Im Frühjahr hat sich Holger Bülow zum ersten Mal mit dem Text von Goethes „Clavigo“ beschäftigt, im Juni folgten dann sechs Wochen Vorproben, dann kam die Spielzeitpause. Zeit, die der 30-Jährige nicht in Potsdam verbracht hat. Ihn zog es raus, er wollte unterwegs sein. Seit drei Wochen ist Bülow wieder in Potsdam, der Stadt, die für die kommenden Jahre sein Zuhause sein wird. Viel Zeit sich umzuschauen hat er aber noch nicht gehabt, die letzten Proben sind dann doch sehr zeitaufwendig. In seiner Wohnung stehen noch immer Umzugskartons. „Aber von Tag zu Tag entdecke ich Potsdam immer mehr“ sagt er. Sein Blick geht wieder über das Terrassengeländer hinüber zum Tiefen See. Holger Bülow schüttelt ein wenig ungläubig den Kopf. Im Grunde bräuchte er jetzt nichts sagen, sein Blick sagt genug. Doch es muss raus.
„Es ist total schön hier“, sagt Bülow. Er lacht, denn es klingt ein wenig kitschig. Nach einer Pause fügt er an: „Aber an welchem Theater in Deutschland kann man sonst mit dem Boot zur Arbeit fahren?“
Dieser Ort, die Schiffbauergasse, begeistert Holger Bülow. Die Reithalle nennt er großartig, vom geplanten „nachtboulevard“, das vielseitige Programm nach den Theatervorstellungen, spricht er schon jetzt mit Begeisterung. Und mit diesem Gefühl sei er nicht allein. „Diese Energie ist im Grunde bei allen Schauspielern zu spüren.“ Die Kritik am Standort Schiffbauergasse haben sie bisher nur am Rande registriert. Davon wollen sie sich nicht leiten lassen. Der Ort bedeutet für sie Aufbruch und Möglichkeiten, und mit Blick auf den Tiefen See Erholung zwischen den Proben. Die haben es in sich.
Holger Bülow spielt Clavigo in dem Trauerspiel von Goethe, dass dieser in nur acht Tagen geschrieben hat. Eine auf den ersten Blick leicht durchschaubare Geschichte über den ehrgeizigen Clavigo, ein in Madrid erfolgreicher Journalist, der sich zwischen Liebe und Karriere entscheiden muss, auf die falschen Einflüsterungen hört und seinen Fehler erst erkennt, wenn es zu spät ist.
Für Holger Bülow war die Vorbereitung für seine Potsdamer Premiere die erste Auseinandersetzung mit diesem Text. Weder in dem Schultheater, noch auf der freien Bühne in seiner Heimatstadt Marburg, noch während seines Schauspielstudiums an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig, noch in den vergangenen vier Jahren am „schauspielhannover“ hat er den „Clavigo“ gespielt. Und so hat es seine Zeit gebraucht, bis er diese Rolle richtig annehmen könne.
Die Sprache Goethes war ihm und auch den anderen Schauspielern anfangs fremd. Doch je öfter sie den Text gelesen haben, zuerst noch hölzern, sich an einem Tisch gegenübersitzend, später dann auf der Probebühne, umso mehr Farbe bekam er, konnte Holger Bülow ihn schmecken, wie er es nennt. Und umso vielschichtiger gab sich Clavigo.
„Es ist richtig, dass die Handlung relativ leicht durchschaubar ist“, sagt Holger Bülow. Aber gerade jenseits dieser Durchschaubarkeit liege die Herausforderung. „In den anderthalb Stunden geschieht nicht viel auf der Bühne.“ Kein Action-Theater, auf den Gesprächen liege das Hauptaugenmerk. Und in diesen Gesprächen, Gedankenmonologen habe sich dieser Clavigo für Bülow als ein grundehrlicher und warmherziger Mensch entpuppt. Einer, der verdammt ehrgeizig ist, sich leicht beeinflussen lässt und wenn er sich für etwas entschieden hat, das auch mit aller Entschiedenheit verfolgt. Eine zerrissene Figur, in die Bülow hineinspringt und sie durch das Stück treiben lassen will. Mit Haut und Haaren will er sich in Clavigo stürzen, damit dieser vielschichtige Mensch in der scheinbar so einfachen Geschichte verstehbar wird. „Entscheidung zwischen Liebe und Karriere, das ist ein Thema, das nie an Aktualität verloren hat“, sagt Bülow. Und so spielen sie „Clavigo“ nicht als Kostümtheater, sondern im Hier und Jetzt.
„Bei den Proben spüren wir, dass die Spielzeitpause doch ziemlich lang war.“ Jede Probe bringe wieder etwas Neues ans Licht. Darum die Abenteuerreise, die Bülow für die Premiere verspricht. Je länger man mit ihm über den Clavigo spricht, umso größer wird die Neugier darauf, was er aus dieser zerrissenen Figur macht. Und gleichzeitig wächst die Gewissheit, dass diese Abenteuerreise es in sich haben wird.
Die Premiere von „Clavigo“ am morgigen Freitag, 19.30 Uhr, in der Reithalle A, Schiffbauergasse
Dirk Becker
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