Von Dirk Becker: Die Spuren des Krieges
Am morgigen Sonntag eröffnet die erschütternde Ausstellung „Blind Spot“ in der Galerie Kunstraum
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Christoph Bangert hat eine einfache Methode entwickelt, um Abstand wahren zu können. Der Fotograf Bangert unterscheidet zwischen normal und nicht normal. Hier, sagt Bangert, und damit meint er Deutschland, die USA, den Westen allgemein, das sei normal. Die Sicherheit, die kleinen Probleme, die Langeweile.
Dort, sagt Bangert, und zeigt mit der Hand auf die Fotografien aus dem Irak, das sei nicht normal. Doch der 31-Jährige möchte nicht über sich reden, über das, was die Monate im Irak mit ihm gemacht haben. „Das lenkt sehr ab“, sagt Bangert freundlich. Es geht um dieses Land und die Menschen, die dort leben.
Christoph Bangert zeigt insgesamt 24 Fotografien in der Ausstellung „Blind Spot“ in der Galerie Kunstraum in der Schiffbauergasse. Es sind Bilder, die während seiner vier Aufenthalte im Irak zwischen 2005 und 2007 entstanden sind. Insgesamt neun Monate hat er für die Tageszeitung New York Times in diesem von Gewalt und Mord gebeuteltem Land verbracht. Neben den Fotografien von Christoph Bangert sind die Portraits von Kriegsversehrten der Amerikanerin Nina Berman in „Blind Spot“ zu sehen. Am morgigen Sonntag wird die Ausstellung, um 16 Uhr eröffnet, die einen mit stiller Wucht überrennt und deren Geschichten sich tief in den Betrachter einbrennen.
„Schweigendes Land“ hat Bangert seine Bildserie überschrieben. Es sind Bilder aus einem Land im permanenten Ausnahmezustand und das von der Angst regiert wird. Mal begleitete Bangert amerikanische, mal irakische Soldaten. Die meiste Zeit jedoch war er mit irakischen Sicherheitsleuten unterwegs. „Die tragen Zivil, haben aber eine Waffe dabei“, sagt Bangert bei einem Rundgang durch die Ausstellung.
Nur so sei es für einen westlichen Fotografen möglich, sich im Irak überhaupt zu bewegen. Immer wieder habe er während seiner Aufenthalte dort telefonische Anfragen bekommen, doch eine Fotoreportage über das Alltagsleben in diesem Land zu machen. Es war nicht immer leicht sein Gegenüber dann davon zu überzeugen, dass dies für ihn der lebensgefährlichste Auftrag überhaupt sei. Maximal eine Stunde dürfe man sich an einem Ort aufhalten, denn ständig bestünde die Gefahr, entführt zu werden. Daneben die permanente und doch ständig diffus bleibende Bedrohung, durch eine Autobombe am Straßenrand oder durch einen Selbstmordattentäter getötet zu werden.
Es brauchte Zeit, bis sich Bangert von dieser Angst, die ihn ständig begleitet hat, etwas zu distanzieren und sich den Problemen der Menschen im Irak zu nähern. „Und ich habe schnell erfahren, dass ihre Ängste vor einem Bombenattentat oder einer Entführung die gleichen sind.“
Bangerts Bilder zeigen amerikanische Soldaten, die das fremde Land belauern. Sie zeigen Tote am Straßenrand im Müll liegend. Sie zeigen Tote auf dem Fußboden in einem namenlosen Krankenhaus, irakische Soldaten bei Razzien. Kinder, die an Mauern stehen oder auf Tischen sitzen. Nie spricht jemand auf diesen Fotografien. Es scheint, als hätte diese beständige Angst, die Gefahr und der permanente Tod den Menschen die Sprache genommen. Doch gerade diese Sprachlosigkeit gibt den Bildern eine Aussagekraft, die oft am Rande des Erträglichen liegt. Und auch wenn ein Bild einer grünen Metallrutsche für Kinder in einem Park am Ostufer des Tigris Normalität suggeriert, macht schon der erste Blick deutlich, dass in diesem zerstörten Land nichts normal erscheinen mag.
Nina Bermans Portraits amerikanischer Kriegsversehrter wirken genauso verstörend wie die Bilder Bangerts. Gleich im Eingangsbereich ist eine Serie mit 18 Bildern von Tyler Ziegel zu sehen. Der junge Mann aus Texas erlitt im Irak Verletzungen, die ihn furchtbar entstellt haben. Doch seine Freundin Renee hielt zu ihm und heiratete Tyler Ziegel. Das Hochzeitsbild von Renee und Tyler Ziegel – sie eine wunderschöne Braut mit traurigem Gesicht, er ein Entstellter in seiner Uniform – ging um die Welt und hat die Arbeit von Nina Berman bekannt gemacht.
Mit ihrer Kamera hat sie Tyler Ziegel und Renee im Alltag, oder was danach aussehen sollte, begleitet. Und es erstaunt, wie scheinbar gelassen Tyler mit seinem Schicksal umgeht. Aber vielleicht kann dieser Eindruck auch nur deshalb entstehen, weil das Gesicht dieses Mannes keine erkennbare Regung mehr zulässt. Dafür immer wieder der leere Blick seiner Frau Renee. Wer die Bilder genau betrachtet, den verwundert es nicht, dass sich Tyler und Renee Ziegler nach einem Jahr schon scheiden ließen.
Daneben sind 20 weitere Portraits von gezeichneten Soldaten zu sehen, die alle um Zitate der Betroffenen ergänzt werden. Es sind die sichtbaren Spuren des Krieges, die diese entstellten und verkrüppelten Körper zeigen. Es sind Spuren, vor denen niemand die Augen schließen kann und die den Krieg in die Heimat tragen.
Die Ausstellung „Blind Spot“ zeigt nicht viele Fotografien aus den beiden Ländern eines Krieges, der im Namen der Freiheit begonnen wurde und sich nun zu einer enthemmten Bestie entwickelt hat. Aber diese Bilder haben es in sich. Sie zeigen eine Sprachlosigkeit, eine Hilflosigkeit und eine Fassungslosigkeit, die den Betrachter mit einer Wucht treffen und ihn selbst sprachlos machen. Diese Bilder geben den täglichen Nachrichten und Zahlen von den Toten aus dem Kriegs- und Krisengebiet Irak Gesichter. Muss es solche Bilder geben, die einen vielleicht bis in den Schlaf verfolgen, fragt man sich gelegentlich während des Rundganges? Und dann beantwortet man sich die Frage mit einem klaren Ja! Weil es solche Bilder sind, die einem auf schmerzhafte aber so deutliche Weise die Augen für Wahrheiten öffnet, die man doch schon längst zu kennen glaubte.
„Blind Spot“ – Fotografien eines Krieges von Nina Berman und Christoph Bangert, Galerie Kunstraum, Schiffbauergasse. Die Ausstellung ist bis zum 6. Dezember, mittwochs bis freitags, 14 bis 20 Uhr, samstags und sonntags, 12 bis 20 Uhr, geöffnet
Dirk Becker
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