Kultur: Die Stunde des Blutes
Erinnerung an Winkelgrunds Inszenierung von Lorcas „Bluthochzeit“ am Hans Otto Theater
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Nicht aus nostalgischen Gründen, sondern um sich früherer Theaterleistungen zu erinnern, setzte die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Sonntag im Hans Otto Theater, Haus Zimmerstraße, seine Reminiszenz mit der 1978 gesendeten Fernseh-Aufzeichnung von Federico Garcia Lorcas „Bluthochzeit“ fort. Wieder war fast die ganze Besetzung um den Regisseur versammelt, dazu Ex-Intendant Gero Hammer, welcher nochmals eine Lanze für das „Wagnis Poesie“ auf deutschen Theaterbrettern brach, selbst auf die Gefahr hin, weniger Publikum heranzuziehen. Rolf Winkelgrund hatte diese kompakte Inszenierung 1976 auf eigenen Wunsch in den Spielplan gebracht, und trotz schauspielerischer Glanzleistungen wäre sie wohl nur Erinnerung, wenn es die Áufzeichnungstechnik nicht gäbe.
Garcia Lorca (1898-1936) war von Beruf ein Poet, von der Leidenschaft her Sozialist, was letztlich zu seiner Erschießung durch Falangisten führte. Das Sujet seiner „ersten Bauerntragödie“ (Uraufführung 1933, Madrid) würde heute lediglich einen Kolportage-Schinken abgeben: Durch blutige Messerstechereien verliert eine spanischen Landfrau Mann und Sohn, nun will ihr letzter Spross (Eckhard Becker) ausgerechnet die Tochter jener Familie Felix heiraten, welche nach dem Gesetz der Blutrache für den Tod der Ihren verantwortlich ist. Sofort nach der Trauung brennt die Braut (Anne-Else Petzold) mit ihrem ehemaligen Verlobten (Hansjürgen Hürrig) durch. Die rivalisierenden Männer töten sich gegenseitig mit Messern, wobei die Allegorien Mond (Thomas Neumann) und Tod (Jarmila Kalovská) helfen. Nun muss die geplagte Frau keine Angst mehr vor diesen Waffen haben, diese haben ja all ihre Lieben nun umgebracht. Es war wohl „die Stunde des Blutes“. Offenbar ließ sich die Regie von den durchweg großartigen, ganz aus dem Inneren geschöpften Kunst der Darstellerinnen so beeindrucken, dass sie die männlichen Rollen kümmerlicher bediente. Vielleicht aber ermöglichten gerade sie erst den existentiellen Zugriff Winkelgrunds jenseits des Blutrache-Themas, denn nach Lorca verwirklicht sich in den Frauen das Schicksal der Menschheit! Gisela Leipert als hart, aber nicht blind gewordene Mutter von klassischem Format, die Braut mit Hitze und Kälte, Regine Albrecht als betrogene Gattin Leonardos mit berührenden Gefühlen. Selbst Nebenrollen (Siglinde Grunwald, Eva Schäfer) überzeugen bis heute in einem so sinnträchtigen wie symbolischen Bildaufbau. Sensibilität und Werktreue, Genauigkeit der Vorgänge und exquisiter Umgang mit der realen Bühnenzeit sind Markenzeichen dieses aus München übergesiedelten Regisseurs geblieben. Guter Beifall vom treuen Publikum (auch dank des Rundfunk-Archivs und des Theaters) selbst noch nach 30 Jahren.
Lorcas „lyrische Tragödie“ erlebte nicht viele Vorstellungen, aber weniger sind ja oftmals mehr. Die Darsteller erinnerten sich bei dem lockeren Anschlussgespräch gerne an diese Ensemble-Arbeit. Einige beklagten das gesunkene Niveau („Die können sich ja nicht mal mehr in die Augen sehen!“) neuerer Inszenierungen, räumten allerdings ein, dass noch immer „gutes Theater“ entstehen könne. Die so existentielle wie sensible Wucht der Aufführung verhinderte möglicherweise tiefschürfendere Gespräche.
Als Winkelgrund gefragt wurde, ob er diesen Lorca heute anders machen würde, antwortete er: „Warum, das hier gefällt mir noch immer!"Gerold Paul
Am 23. Mai „Todeskampf eines selig Entschlafenen“ von Athol Fugard, eine Inszenierung von Günter Rüger, 11 Uhr.
Gerold Paul
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