
© Lichtblick Film GmbH/ Raphael Beinder
Kultur: Die Suche nach Beständigkeit
Maurizius Staerkle-Drux würdigt in seinem Film den großen Architekten Gottfried Böhm
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Die eigene Sicht ist mittlerweile getrübt durch den fast täglichen Blick im Vorbeifahren. Und natürlich auch durch die zahlreichen Diskussionen und Streitigkeiten über den Neubau für das Hans Otto Theater, obwohl sie schon einige Jahre zurückliegen. Doch manchmal braucht es nur ein paar Bilder, die das Bekannte in einen neuen, tieferen Zusammenhang stellen und dann ein wiederholtes Öffnen der Augen bewirken können. Vielleicht sogar den Blick überhaupt zum ersten Mal für das Offensichtliche, für das Schöne, das entscheidende Detail schärfen.
Der Dokumentarfilm „Die Böhms – Architektur einer Familie“ von Maurizius Staerkle-Drux ist ein solcher Augenöffner. Der Film umkreist in knapp anderthalb Stunden das Leben und Schaffen der Architektenfamilie um den Patriarchen Gottfried Böhm, der am Samstag seinen 95. Geburtstag feierte und dem Potsdam das Theaterhaus in der Schiffbauergasse, direkt am Tiefen See, zu verdanken hat. Mancher mag dem widersprechen, nach all den Querelen um die schlechte Akustik und die damit verbundenen Nacharbeiten in dem 2006 eröffneten Gebäude. Und auch mit Blick auf das verblassende Rot der drei auffächernden und so markanten Dächer. Doch je länger man als Zuschauer zusammen mit Maurizius Staerkle-Drux die Familie Böhm und ihr architektonischen Kunstwerke umkreist, umso bewusster wird einem das Kleinkarierte dieser provinziellen Sichtweisen.
Das Potsdamer Theater ist in dem Film erst in den letzten Minuten zu sehen, trotzdem prägt es das Familienporträt, weil dieses Rot, diese aufgefächerte Dachform, die an eine Blüte erinnern kann, sich in Gottfried Böhms Entwürfen immer wieder findet. Bei einem seiner regelmäßigen Baustellenbesuch in Potsdam vor über zehn Jahren hatte Böhm erklärt, dass er dazu durch ein in Japan beobachtetes Ritual inspiriert wurde, bei dem Buddhafiguren mit Palmenwedeln abgedeckt werden. Schützend wie eine aufgelegte Hand sollen diese Palmenwedel das Besondere betonen. Schützend sollen auch die drei Dächer über dem Theaterraum liegen.
Das kräftige Rot, das anfangs die drei Dächer des Hans Otto Theaters prägte, findet sich in dem Umhang wieder, den Böhms Frau Elisabeth trägt. Aber auch in zahlreichen seiner Zeichnungen, in denen mal seine Frau mit besagtem Umhang als eine Art Signatur auftritt oder Böhm diese rote Blütenhaftigkeit in unterschiedlichen Gebäudeentwürfen variiert. Zu einem dieser Entwürfe, der doch sehr gewagt ist, stellt Elisabeth Böhm die Frage, ob das ein Kochtopf sein soll.
Es braucht ein wenig Zeit, bis man diese und andere Kommentare von Elisabeth Böhm einordnen kann. Bis man erkennt oder sich eingesteht, dass sich bei dieser Frau das hohe Alter in kindischem Verhalten bemerkbar macht. Mehr als zwei Jahre lang hat Regisseur Maurizius Staerkle-Drux die Familie Böhm begleitet und dabei äußerst zärtliche und liebevolle Momente zwischen Elisabeth und Gottfried Böhm festgehalten. Es ist auch die Zeit, in der Elisabeth Böhm stirbt. Und wie gefühlvoll Staerkle-Drux dies erzählt, ist das schon ein kleines, inszeniertes Kunstwerk. Zuerst sieht man Elisabeth Böhm auf einem Kanapee, vielleicht bei einem Nachmittagsschläfchen. Und auch wenn ihr Atem etwas zu schnell erscheint, strahlen diese Bilder Ruhe aus. Dann spielt Gottfried Böhm auf der Mundharmonika eine einfache, beschwingte Melodie, um dann am Tisch vor seinem Haus zu sitzen, mit einem Glas Wein und dem Schmerz des Verlusts im Gesicht. Und in dem Moment wird einem bewusst, dass dieses befremdliche Mundharmonikaspiel wahrscheinlich auf der Trauerfeier für Elisabeth Böhm zu hören war.
„Die Böhms – Architektur einer Familie“ ist vor allem auch eine Hommage auf Elisabeth Böhm, die selbst Architektur studiert hatte, ihre eigene Karriere aber für ihren Mann und ihre drei Söhne aufgab. Aber sie blieb die treibende Kraft hinter den Entwürfen von Gottfried Böhm. Sie war Inspiration und kritische Instanz, wie vor allem die Söhne Stephan, Peter und Paul bestätigen. Und sie war diejenige, die der Familie den Halt gab, was besonders deutlich durch ihren Tod wird.
Der Film von Maurizius Staerkle-Drux erzählt weniger von der Architektur. Zwar spielt sie eine gewichtige Rolle in „Die Böhms – Architektur einer Familie“, doch erst durch die Konzentration auf die Menschen, ihre Gefühle und Befindlichkeiten entfaltet sich hier ihre besondere Wirkung. Maurizius Staerkle-Drux erzählt vor allem von der Liebe und von der großen Sehnsucht nach Beständigkeit, die sich in der Architektur der Familie Böhm niederschlägt. Das beginnt mit dem Vater von Gottfried Böhm, der selbst als Architekt tätig war und seinem Sohn in seinem Atelier schon früh Möglichkeiten für eine eigene Entfaltung gab. Und das geht über Gottfried Böhm weiter zu seinen Söhnen, die alle drei selbst als Architekten arbeiten und klingt in der vierten Generation an, wenn am Ende des Films kurz ein Enkel erwähnt wird, der selbst Architektur studiert. Klein bauen die Böhms dabei kaum. Es sind vor allem die skulpturalen Kunstwerke von Gottfried Böhm aus Beton, Stahl und Glas, die mit ihrer ganz persönlichen Handschrift im Gedächtnis bleiben. Eine Architektur, in der sich Schroffes und Organisches auf ganz eigenwillige Art und Weise verbindet und oft ihren Ursprung in Berg- und Gebirgslandschaften zu haben scheint.
Beständigkeit findet Gottfried Böhm auch im Glauben, was sich nicht allein darin zeigt, dass er über 50 Kirchen entworfen hat. Es zeigt sich vor allem in seiner Hoffnung durch den Glauben, dass nach dem Tod doch etwas bleibt. Und dann ist da noch das Wohn- und Arbeitshaus, das Dominikus Böhm 1931 in der Straße Auf dem Römerberg in Köln in Rheinnähe erbauen ließ. Ein schlichtes und lichtdurchflutetes Haus mit kleinem Swimmingpool, in den Gottfried Böhm noch mit über 90 Jahren allmorgendlich mit Kopfsprung eintaucht. In diesem Haus sitzt er mit Günther Keintoch, der seit über 55 Jahren für die Familie arbeitet, zuerst als Architekt, jetzt als eine Art Faktotum, der von Böhm immer nur als „der Boss“ spricht. Zwei alte Männer, die nur wenige Worte wechseln und gemeinsam schweigend über das Leben nachzudenken scheinen. Das sind Bilder, die bleiben.
„Die Böhms – Architektur einer Familie“ ist am Sonntag, dem 1. Februar, um 11 Uhr im Thalia-Filmtheater in der Rudolf-Breitscheid-Straße 50 zu sehen.
Dirk Becker
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