zum Hauptinhalt

Kultur: Die Tiefton- Akrobatin

Marla Glen begeisterte im Nikolaisaal

Stand:

Schon lange vor den Zugaben hatten die meisten der über 700 Gäste ihr Sitzfleisch verloren. Frenetisch jubelnd standen sie in den Reihen oder waren gleich zum Seitengang geeilt, um dort ausgelassen zu tanzen. Angestiftet von einer kleinen schlanken Frau, die inmitten dieser feiernden Menge verschwunden war, deren gewaltige Stimme jedoch alles übertönte, ja dominierte: Marla Glen. Im Rahmen des Potsdamer Jazz Festivals gehörte ihr am Samstagabend der restlos ausverkaufte Nikolaisaal.

Dabei hatte sie nur mit fünf bis sechs Leuten gerechnet, wie sie anfangs scherzhaft zu verstehen gibt. In gespielt skeptischer Pose schreitet sie den Bühnenrand ab, während hinter ihr ein zehnköpfiges Musikerensemble das jazzig rockige Stück „Garden Of Desire“ einleitet und endlich diese eingängig tiefe und raue, unglaublich kräftige und so gar nicht weibliche, schwarze Soulstimme erklingt, die Marla Glen Anfang der 90er Jahre sofort berühmt gemacht hat. Aber auch der stets ins Gesicht gezogene Schlapphut und die gestreifte Krawatte zum dunklen Herrenanzug sind ihre Markenzeichen geblieben. Die in Chicago geborene und seit Längerem in Deutschland lebende Musikerin liebt das belustigende Spiel mit dem Androgynen, es ist Bestandteil ihrer Show.

Marla Glen ist eine Entertainerin, die mit ihren Musikern herumalbert, fortwährend mit dem Publikum interagiert, ihre Songs mimisch und gestenreich zu untermalen versteht und dazwischen immer wieder in jähes Gelächter ausbrechen kann oder sich kurzerhand eine Zigarette anzündet. In einem Köfferchen sucht sie leise fluchend nach der richtigen Mundharmonika für ihren Klassiker „Travel“, der ohne spezielle Bluesnote nicht auskommen kann. Auf der Djembe trommelt sie erst noch unbeholfen und plötzlich virtuos zu „Rodney King“, einem neueren Stück, das mehr und mehr Groove aufnimmt, bevor es in einem instrumentalen Inferno endet.

Überwiegend sind es recht temporeiche, tanzbare Songs, die Marla Glen und ihre spielfreudige Band an diesem Abend präsentieren, eine ausgewogene Mischung, gespickt mit Anleihen aus Soul, Blues, Funk und Jazz. Und es sind nicht zuletzt die dunklen Balladen, die nicht selten eine ergriffene Besinnlichkeit auslösen, wie etwa das wunderschöne Stück „I See Blood“, das Marla Glen ihrer persönlichen Leitfigur und Mentorin, der 2003 verstorbenen Soulsängerin Nina Simone gewidmet hat. Aber Marla Glen weiß auch, dass die Gäste auf ihre ganz großen Hits warten. Auf „Believer“ etwa, das sie erst in der Zugabe, zudem in einer beinahe poppigen Version darbietet und auf den Evergreen „It’s A Man’s World“, den sie vielleicht wirklich besser zu singen versteht als James Brown es einst vermochte. Eben gerade bei solchen Songs zeigt sich Marla Glens beeindruckendes Talent, aus dem Verborgenen, von gebannt leisen zu überraschend lauten Tönen zu wechseln. Eine Gesangsleistung der Extraklasse!

Gute zwei Stunden unterhält Marla Glen ihre Gäste an diesem Abend vorzüglich, nur nicht mit Country-Songs, was sie mehrmals bedauert. Doch äußert sie sich singend, mit dem gleichen Augenzwinkern, stattdessen zu der ewigen Frage, ob sie nun eine Frau oder doch ein Mann sei. Allein der Herr aus dem Publikum, zu dem sie hinspringt, um mit ihm Walzer zu tanzen, wird die Antwort wohl wissen. Daniel Flügel

Daniel Flügel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })