Kultur: „Die unbekannten Nachbarn“
Das Projekt „Grenzgänger“ in der Landeszentrale für politische Bildung
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Ethnisch gesehen ist Osteuropa ein bunter Flickenteppich. Wie die Abbildung eines Flickenteppichs ist auch das Cover des Buches gestaltet, das die Historikerin Ruth Leiserowitz 2008 beim Ch. Links Verlag herausgab: „Die unbekannten Nachbarn – Minderheiten in Osteuropa“.
In der Landeszentrale für politische Bildung stellte sie ihre Publikation vor. Im Rahmen des Projektes „Grenzgänger“ der Robert-Bosch-Stiftung besuchten Journalisten verschiedener Nationalität die zehn neuen Länder der EU und erkundeten die besondere Situation ihrer ethnischen Minderheiten. Das zum Projekt entstandene Buch enthält sowohl die sachlichen Berichte über Kultur und Geschichte der Minderheiten als auch exemplarische Familiengeschichten aus dem Baltikum, aus Tschechien, aus der Slowakei, aus Slowenien, aus Ungarn, aus Rumänien und aus Bulgarien.
Durch den Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg und nach Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg wären durch Osteuropa Grenzen gezogen worden, die die Heterogenität einerseits verstärkten und unter der Zwangseinheitlichkeit andererseits unterdrückten, erklärte Ruth Leiserowitz. So wäre die vielfarbige kulturelle Landschaft Osteuropas endgültig in der Mitte des 20. Jahrhunderts verloren gegangen. Der Eiserne Vorhang hätte die Minderheitenproblematik für Jahrzehnte mit dem Tuch des Schweigens umhüllt. Während der Zeit des Sozialismus galten ethnische Besonderheiten als reaktionäre Relikte der Vergangenheit, die zur Auflösung verurteilt waren. So nahmen Wohnungsnachbarn in den verschiedenen Ländern Osteuropas zwar die unterschiedlichen sprachlichen Akzente, andere Feste, andere Kochrezepte und andere Handarbeitsmuster ihrer Mitbewohner wahr. Aber man stellte keine Fragen, sondern sah zu, dass man miteinander zurechtkam. Die ethnische Identität existierte lange nur innerfamiliär.
Oft wurden Minderheiten auch politisch instrumentalisiert, was zu Spannungen innerhalb der Gruppen führen konnte. Der Zeitraum zwischen 1988 bis 1990 stellte für alle osteuropäischen Minderheiten eine wichtige Zäsur dar. Im Gefolge der allgemeinen politischen Aufbruchstimmung erhielten sie erstmals eine Bühne und traten an die Öffentlichkeit. Nach der Gründung der neuen Republiken schlossen sich viele ethnische Minderheiten in Vereinen zusammen, um ihre Kultur und Geschichte wieder zu beleben. Die neue ethnische Pluralität wurde von der „Mehrheitsbevölkerung“ oft als Bedrohung erlebt, da der „Zusammenhalt“ verloren ging und eine Pluralität nicht eingeübt war. Nationalistisch geprägte Konflikte entzündeten sich besonders in den Zeiten des Machtvakuums. Nur langsam setzte sich in den Administrationen das Bewusstsein durch, dass interkulturelle Kompetenzen auf Dorf-, Kreis - und Regierungsebene auch wichtige Potentiale darstellten.
Im Zuge der Brüsseler Aufnahmekriterien für die Europäische Union wurden Sicherheiten für die Minderheitenexistenz in den zehn Ländern geschaffen. Der gesetzlich verbriefte Minderheitenschutz habe die Gründung und Aktivität von Vereinen in allen zehn Ländern sichtbar verstärkt, so Ruth Leiserowitz. B. Wiesener
B. WiesenerD
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