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Kultur: Die Unbequeme

Essayistin Joan Didion in der Villa Quandt vorgestellt

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Ihr Blick ist unbequem. Auch weil er so scharf, durchdringend und gnadenlos ist. Joan Didion blickt kritisch auf die Gesellschaft. Doch sie gibt sich nicht als moralische Instanz. Sie beruhigt ihren Leser nicht, indem sie ihn mit Lösungsvorschlägen entlässt. Vom „Gedanken einer letztendlichen Sinnlosigkeit“ die eigene Existenz betreffend, sei das Weltbild der großen amerikanischen Essayisten geprägt, wie Antje Rávic Strubel am Donnerstag in der Villa Quandt sagte. Doch resultiere daraus keine depressive Haltung, sondern ein Jetzt-erst-recht, der Wille, genauer hinzuschauen und die Verwerfungen in der menschlichen Gesellschaft mit analytischer Kühle und frei von jedem Pathos zu sezieren. Nicht jeder verträgt diese Form der Offenheit.

Die Potsdamer Schriftstellerin Antje Rávic Strubel, bekannt geworden durch ihre Romane wie „Tupolew 134“ und „Kältere Schichten der Luft“, hat Joan Didion in einem Antiquariat entdeckt. Sie war fasziniert von deren unglaublicher sprachlichen Präzision, wie es ihr mit wenigen Worten gelang, Menschen zu charakterisieren. Als sie Didion im Original las, glaubte sie einen Gleichklang in ihrer und der Sprache der Amerikanerin zu hören. Sie wollte versuchen, diesen Gleichklang in einer Übersetzung beizubehalten.

Antje Rávic Strubel hat zwei Bücher von Joan Didion ins Deutsche übertragen. Nach „Das Jahr magischen Denkens“ nun die Essaysammlung „Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“. Im Gespräch mit der Literaturkritikerin Sigrid Löffler erzählte sie am Donnerstag Abend in der vom Brandenburgischen Literaturbüro organisierten Reihe „Brandenburg übersetzt“ von ihrer Arbeit.

Knapp 20 Gäste waren gekommen, was Antje Rávic Strubel in ihrer Annahme bestätigt haben wird, dass eine große Leserschaft für Joan Didion in Deutschland wohl unwahrscheinlich bleiben wird. Die knapp 20 Gäste jedoch erlebten einen dieser seltenen Gesprächsabende, die hoch anspruchsvoll und gleichzeitig unterhaltsam leicht sind. Sigrid Löffler und Antje Rávic Strubel porträtierten die mittlerweile 75-jährige Joan Didion, die beide schon für ein Interview getroffen haben, als unbestechliche Chronistin der amerikanischen Gesellschaft, als scharfsichtige und äußerst misstrauische Kritikerin, die selbst im Gespräch so analytisch klar antwortet, wie in ihren Essays, in denen sie die Verhältnisse in ihrer Heimat seit den 1960er durchleuchtet. Antje Rávic sprach von der Sprachskepsis bei Didion, nach der Worte vor allem dafür dienen, das Unabänderliche unserer Existenz zu verschleiern und schön zu reden. Sie sprach von den viel zu langen Sätzen, die sie beim Übersetzen ins Deutsche geschrieben hatte und die harte Arbeit, diese soweit zusammen zu kürzen, so dass sie der Prägnanz und Schärfe des Originals soweit wie möglich nahe kamen.

Eine „Wirklichkeitsseziererin“ nennt Strubel die Didion in ihrem Vorwort zu „Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben“. „Sie macht dem Vertrauen darauf, dass die Welt sich bessert, kein einziges Zugeständnis. Stattdessen erschüttert sie das Fundament und lässt uns dann zurück inmitten eingestürzter Bauten.“ Doch ist das kein Zurücklassen in Verzweiflung, sondern ein Zustand, der Klarheit schafft. Es ist der Verdienst von Antje Rávic Strubel, wenn man die Didion für sich entdeckt hat, dass diese oft schmerzhafte Klarheit jetzt auch im Deutschen ein literarischer Genuss ist. Dirk Becker

Joan Didion: Wir erzählen uns Geschichten, um zu leben. Claassen Verlag, Berlin 2008, Gebunden, 302 Seiten, 22,90 Euro

Dirk Becker

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