Von Astrid Weidauer: Die unerhörte Freiheit auf 88 Tasten
Eine lange Nacht des Jazzpianos mit Wanja Belaga, Joachim Kühn und Jasper van’t Hof
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Um die Frage, was eigentlich Jazz ist, wurde und wird gern gestritten. Der große Louis Armstrong hielt diese Frage schlicht für überflüssig und unterstellte jedem, der sie aufwarf, einfach nichts vom Jazz zu kapieren.
Etwas differenzierter sah das der berühmte Jazzpianist und -komponist Dave Brubeck, der „Erfinder“ des legendären „Take Five“: „Jazz war immer eine Musik, die von der Welt Freiheit forderte. Wenn der Solist nicht die völlige Freiheit hat, hört es auf, Jazz zu sein. Es ist in vieler Hinsicht die wichtigste Musik der Welt!" Freiheit ist in der Tat die zentrale Vokabel beim Sprechen über und Hören von Jazz. Die größten Meister in der Welt des Jazz sind daher musikalische Freigeister, die gleich Abenteurern unter der Flagge der blue notes dahinsegeln - und nichts und niemand kann sie aufhalten.
„Die unerhörte Freiheit“ heißt unsere Lange Nacht des Jazzpianos am 4. April, in der drei Pianisten die Kunst der Improvisation zelebrieren werden. Es ist eine Kunst, um die sie nicht selten von klassisch ausgebildeten Musikern beneidet werden - denn es ist eine Kunst, die sich im Grunde nicht "erlernen" lässt. Das Improvisieren gleicht dem Spiel im freien Fall, das im Idealfall zur zweiten Natur des Jazzmusikers wird. "Es ist fast so, als wenn ich mir von oben zuschauen würde. Die Finger flitzen, wie sie wollen", beschreibt der 1969 in Moskau geborene Wanja Belaga dieses Phänomen.
Belaga, der am 4. April als erster in den „Ring“ steigen wird, ist, gemessen an den beiden ehrwürdigen Mitstreitern dieses Abends (Joachim Kühn und Jasper van''t Hof), zwar noch ein „greenhorn“ - doch dieser besessene Musiker mit der ungewöhnlichen Vita hat das Zeug, in die Fußstapfen der ganz Großen zu treten. „Das Genie, das aus der Kälte kam“ übertitelte die „Süddeutsche“ vor drei Jahren einen Artikel über den seit 1979 in München lebenden Belaga. Dieser hatte nach mehr als 18-jähriger Klavier-Abstinenz gerade erst seine Konzerttätigkeit wieder aufgenommen. Zwischenzeitlich hatte sich das einstige Wunderkind (das nach einem dreifachen Handbruch das Klavierspielen für lange Zeit aufgab) dem Studium der Malerei zugewandt, eigene Konzertclubs in München gegründet, sich als Groß-Veranstalter einen Namen gemacht und tausende von Bildern gemalt, ehe er sich wieder ans Klavier setzte. „Verwirrend einmalig“, „ekstatisch“, „traumwandlerisch“ – so beschreibt die Presse sein verwegenes Spiel.
Ebenfalls eine Doppelbegabung als Maler und Jazzmusiker: Joachim Kühn, Altmeister des Jazzpianos - kürzlich feierte er seinen 65. Geburtstag. Geradlinig führte sein Weg zum Jazz: schon mit 17 Jahren ist der gebürtige Leipziger Profimusiker, mit 20 gründet er ein Free-Jazz-Trio. Zwei Jahre später nimmt er sich die Freiheit, die er braucht: er kehrt von einer "Westreise" nicht mehr zurück. Hamburg, Paris, Kalifornien, wieder Paris, Hollywood... – die Karriere dieses Freigeistes ist nahezu ohne Beispiel.
Zum finalen pianistischen Höhenflug hebt zu später Stunde der Holländer Jasper van''t Hof (Jahrgang 1947) ab, einer der kreativen Hochkaräter des europäischen Jazz, dessen mittlerweile rund 70 Tonträger von der unerhörten Freiheit auf 88 Tasten künden.
4. April, ab 20 Uhr, Großer Saal: Black & White
Astrid Weidauer
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