Kultur: Die „Unscheinbare“
Im Schaffensrausch: Beethoven schrieb seine 4. Sinfonie im Herbst 1806 in nur wenigen Wochen
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„Alle neun Sinfonien an vier Tagen“ heißt es im Februar bei der Kammerakademie Potsdam. Ein Konzertmarathon mit den Sinfonien von Ludwig van Beethoven, wie ihn das Orchester noch nie bestritten hat. Die PNN stimmen in den kommenden Wochen mit regelmäßigen Beiträgen auf dieses Konzerterlebnis ein. Heute geht es um Beethovens 4. Sinfonie.
Sie trägt den Beinamen „Unscheinbare“. Und wenn man sich einen raschen Überblick über Beethovens neun Sinfonien machen will, droht die 4. tatsächlich fast im Schatten der anderen zu verschwinden. „Hier das kolossale, wuchtig in den Himmel ragende Gebirgsmassiv der Eroica, dort das atemberaubende, schon mit seinen ersten Tönen alle Sinne an sich reißende Drama der Schicksals-Symphonie (und am Horizont tauchen schon die beeindruckenden Gewitterwolken der Pastorale auf ...)“, wie Wolf-Dieter Seiffert in seinem Essay über die 4. Sinfonie schreibt.
„Vielleicht hat sich Beethoven hier Fröhlichkeit gegönnt“, sagt Nathan Plante, Trompeter der Kammerakademie Potsdam. Für ihn ist der Charakter der 4. Sinfonie grundsätzlich fröhlich und freundlich. „Strahlend, segelnd, schön“, sagt Plante. Ein Werk von gelöster Grundstimmung, das Beethoven im Herbst 1806 innerhalb nur weniger Wochen geschrieben hatte. Es war die Zeit, in der Beethoven in einem regelrechten Schaffensrausch gepackt wurde. Er arbeitete unter anderem an seinem 4. Klavierkonzert und an seinem Violinkonzert D-Dur op. 61, an der Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 C-Dur op. 72b, an dem ersten der drei sogenannten Rasumowsky-Quartette und schon an der 5., der Schicksalssinfonie. Doch auch wenn die 4. die wohl unbekannteste in Beethovens Sinfoniengesamtwerk ist, sie wegen ihrer leichteren Zugänglichkeit vielleicht auch sehr oft unterschätzt wird, strahlt hier doch die 3. Sinfonie hinein, sind Verweise auf die folgende, die 5., zu finden. Und auch hier zeigt sich deutlich, vor allem bei den Bläsern, Beethovens Streben, jedem Instrument eine eigene, eine bedeutungsvolle Stellung zu geben, sich zu lösen vom Dogma der Unterscheidung zwischen Solo- und Begleitstimmen.
„Wenn man die Stimmen in der Partitur liest, weiß man, er kannte die Trompete sehr gut“, sagt Nathan Plante über Beethovens Streben. „Man merkt das vor allem in den späteren Sinfonien, dass sie ihm als Instrument für die Verstärkung nicht reicht. Er pusht sie immer weiter und immer weiter und man merkt, dass bald die Zeit kommt, in der die Trompete endlich einmal chromatisch spielen konnte. Ich weiß nicht, wie viel Kontakt er zu Trompeten hatte, aber man merkt, dass Beethoven, so wie Bach zu seiner Zeit, ganz genau wusste, was das Instrument kann und wie weit er es fordern kann. In der Barockzeit waren die Trompeten Melodieinstrumente, wie die Oboen und Geigen. Richtig solistisch aktiv. In der Klassik haben die Komponisten uns in den Keller geschickt und uns nur für rhythmische und harmonische Unterstützung gebraucht. Im Prinzip erste, zweite und dritte Pauke.“ Mit Beethoven wurde das wieder anders.
„Er ist wie ein Monument der klassischen Musik und hat in dieser klassischen Periode wie ein Durchbruch gewirkt. Man liest und spricht ja immer viel darüber, dass Beethoven mit seinen Kompositionen das bekannte Sinfonieformat gesprengt hat. Er war immer auf der Suche. Er hat immer versucht, wie er das noch weiter treiben kann und vor allem nach neuen Wegen gesucht, wie er es anders machen kann“, so Plante. Und hörte man die 4. Sinfonie unter dieser Maßgabe, offenbart sich in dieser Musik eine ergreifende Tiefe, eine Spannung zwischen innerer Unruhe und hochstrebender Erlösung, wie sie nur Beethoven zu komponieren verstand und diese ganz gewissen Momente, wenn einen die Glücksgefühle für einen Moment förmlich überschwemmen, wie beispielsweise beim Auftakt des 3. Satzes. Freude und Überschwang, neckischer Witz und pure Lebenslust. Inwieweit hier eine mögliche Verliebtheit Beethovens Einfluss auf die Komposition hatte, darüber wurde und wird immer wieder spekuliert. Für den Genuss und das Entdecken der Feinheiten und klangschönen Ideen in dieser Musik sind solche Spekulationen zum Glück nur müßig.
Die Kritik schrieb damals über die 4. Sinfonie, sie sei „ein Werk, vom Componisten mit eben der Originalität und Energie ausgestattet, welche die früheren Productionen seiner Muse bezeichnen, ohne der Klarheit durch Bizarrerien zu schaden“. Heiter, verständlich und sehr einnehmend seien diese vier Sätze geschrieben. Und so konnte man „sich schwerlich des Wünschens enthalten: möchte es doch dem geistreichen, verehrten Meister möglich, möchte er geneigt seyn, auf diesem Wege weiter, und, wie er es jetzt allerdings vermöchte, höher zu wandeln“. Diesem Wunsch ist Beethoven selbstverständlich nachgekommen, aber auf seine ganz eigene, ja fast schon himmelstürmende Art und Weise.
Die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonello Manacorda spielt vom 13. bis 16. Februar alle neun Sinfonien von Beethoven im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Weitere Informationen und Karten unter www.kammerakademie-potsdam.de
Dirk Becker
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