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Kultur: Die verfluchten Freiwünsche

Thomas Glavinic liest aus seinem neuen Roman

Stand:

Was mag wohl passieren, wenn einem Menschen plötzlich alle, auch seine verborgensten Wünsche erfüllt werden? Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic hat in seinem neuen, mittlerweile siebten Roman „Das Leben der Wünsche“ genau dieses Thema umgesetzt und dabei eine bemerkenswert gute, unglaublich fesselnde und zudem sehr trickreiche Geschichte erzählt. Heute stellte Glavinic „Das Leben der Wünsche“ in Potsdam vor.

Die Handlung beginnt mit einer Schlüsselszene. Jonas, ein eher lustloser Werbetexter, liebevoller Vater zweier Söhne jedoch notorisch untreuer Ehemann, erhält ein ungewöhnliches Angebot. Ein Herr mit Spiegelbrille und Goldkettchen, gekleidet ganz in Weiß und umweht von Bierdunst, drängelt ihm geradezu die Erfüllung dreier Wünsche auf. Jonas hält ihn für einen Verrückten, von dem er sich zunächst schalkhaft wünscht, mehr über den Sinn des Lebens, den Tod oder die Zukunft zu wissen, bevor er zu dem Schluss kommt: „Ich wünsche mir, dass sich alle meine Wünsche erfüllen.“ Der seltsame Fremde ist einverstanden, ermahnt Jonas aber noch, seinen Wünschen genügend Zeit zu geben, sich zu entfalten.

Was noch so märchenhaft beginnt, verläuft schon bald in ganz anderen, unerwarteten Bahnen. Jonas hat die Begegnung schon fast wieder vergessen, als eines Tages immer mehr eigenartige, anfangs noch durchaus erfreuliche Dinge in seinem Leben geschehen. Plötzlich steigen seine Aktienkurse und wenig später wächst sein etwas zu klein geratener Sohn Chris, quasi über Nacht, um mehrere Zentimeter. Dann aber wird vor seinen Augen ein Fußgänger, der ihn eben noch provoziert hat, von einem Auto erfasst. Er erlebt einen brutalen Raubüberfall, wird Zeuge einer plötzlichen Mondfinsternis und begegnet sich selbst auf einem nächtlichen Parkplatz. Jonas ist verstört. Er spürt zunehmend, dass seine oft unbewussten Wünsche und Verwünschungen offenbar ein Eigenleben entwickeln und seinen bisher monotonen Alltag auf eine manchmal schon unheimliche Weise bestimmen. Doch als er kurz darauf seine Frau tot in der Badewanne findet, hat dieser Wunscherfüllungs-Albtraum für ihn erst richtig begonnen.

„Das Leben der Wünsche“ ist lebensnah und doch reich an surrealen Überraschungsmomenten. Es erinnert an die Erzählweise Kafkas. Schein und Wirklichkeit überlagern sich trügerisch, trotzdem bleibt die Geschichte auf mehreren Ebenen lesbar. Sie fordert den Leser, mag bisweilen auch verwirren, besitzt jedoch durchweg eine enorm hohe Anziehungskraft. Daniel Flügel

Thomas Glavinic liest heute, 21.30 Uhr, in der Reithalle A, Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 4 Euro

Daniel Flügel

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