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Kultur: Die Wunder in sich selbst suchen Thomas Glavinic hat im Viktoriagarten gelesen

Grenzen erforschen, sich Herausforderungen stellen. Angst, Einsamkeit und Liebe erfahren.

Von Sarah Kugler

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Grenzen erforschen, sich Herausforderungen stellen. Angst, Einsamkeit und Liebe erfahren. Die innere Tiefe erleben. Das alles durchlebt Jonas, der Protagonist des Romans „Das größere Wunder“ von dem österreichischen Autor Thomas Glavinic. Am vergangenen Freitag stellte er sein Buch in der Buchhandlung Viktoriagarten in der Geschwister-Scholl-Straße im Rahmen der Reihe „Lesegarten“ vor.

Sehr leise, fast ein bisschen schüchtern betrat der Autor, der 1972 in Graz geboren wurde, die Buchhandlung – um dann kurz an der Tür stehen zu bleiben und erst mal einen Gruß in das Publikum zu werfen. So bodenständig und publikumsnah blieb er den ganzen Abend – nicht ganz selbstverständlich für einen Autor, der mit Anfang vierzig bereits zehn Romane veröffentlicht hat, die in 18 Sprachen übersetzt und jedes Mal aufs Neue eine literarische Entdeckung sind. Sei es die satirische, autobiografisch angehauchte Schilderung über das Leben eines nach Erfolg strebenden Schriftstellers, die Auseinandersetzung mit den tiefsitzenden, abgründigsten menschlichen Wünschen oder ein langer innerer Monolog: Glavinic schafft es immer wieder, zu überraschen, sich neu zu erfinden und trotzdem einen eigenen Stil zu entwickeln, der sich vor allem in seiner wunderbaren Sprache wiederfindet.

„Das Gestern stand klar vor ihm, das Soeben schwand, zerfloss, ungreifbar und verbraucht.“ Schon dieser erste Satz seines aktuellen Romans „Das größere Wunder“ steht beispielhaft für seine poetische Kunst, die den Leser sofort mitreißt und immer weiter treibt in die Geschichte rund um die Hauptfigur Jonas. Ein junger Mann ist das, der aus einem zerrütteten Elternhaus stammt, dann aber zusammen mit seinem geistig behinderten Zwillingsbruder von der Familie seines Freundes Werner aufgenommen wird und dort aufwächst. Als Erwachsener führt er ein rastloses Leben, nimmt an waghalsigen Bergsteigerexpeditionen teil und ist immer auf der Suche nach dem nächsten Grenzgang. Irgendwann trifft er Marie und steht vor der nächsten Herausforderung: der Liebe.

„Jonas ist eine Figur, die in all seinem Denken extrem tief ist“, sagte Glavinic am Freitag. „Es geht bei ihm immer um Verdichtung, Konzentration und Selbsteinschränkung. Er möchte bis an seine Grenzen gehen und darüber hinaus, deswegen auch das Höhenbergsteigen.“ Ein Sport, der auch den Autor reizt – allerdings nur theoretisch. „Ich hasse es, zu schwitzen“, so Glavinic lachend. Extrem diszipliniert sei er hingegen beim Schreiben. Zwei Seiten pro Tag ist sein Mantra. Dabei kommt es dann auch vor, dass er mitten im Satz aufhört. Als Schnellschreiber sieht er sich allerdings nicht. Als Schriftsteller sei man nur erfolgreich, wenn man das Schreiben als ernsthaften Beruf ansehe, sagte er. „Das ist nur machbar, wenn ich mich jeden Tag ransetze.“ Dabei versucht er immer über Dinge zu schreiben, die motivisch etwas mit seinem Leben zu tun haben. Die Herausforderung bestehe vor allem darin, sich nicht zu wiederholen: „Ich will mich selbst nicht langweilen, sonst langweile ich meine Leser.“ Somit wagt er sich bei jedem neuen Roman über seine Grenzen hinaus, riskiert ein Scheitern, stellt sich seinen Ängsten und lässt seine Leser dabei immer wieder ein Stück an seiner inneren Tiefe teilhaben. Sarah Kugler

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