Kultur: Die Zeichen der Natur
Filmlivekonzert im Nikolaisaal: „Nosferatu“
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Nomen est omen: Wenn der erste Filmdarsteller des berühmtesten Vampirs der Welt mit bürgerlichem Namen Max Schreck heißt, könnte doch etwas daran sein, dass Namen Vorzeichen sind. Als Nosferatu hat der Schauspieler Max Schreck in Friedrich Wilhelm Murnaus gleichnamigem Stummfilm Filmgeschichte geschrieben: eine dürre, gekrümmte Gestalt, mit gebogenen Fingerkrallen, spitzen Fledermausohren, zwei kleinen Reißzähnen und starrem Blick. Dieser Archetyp des Horrorfilms wurde jetzt von der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal zur Filmmusik von José María Sánchez-Verdú unter der Leitung von Mark-Andreas Schlingensiepen zu neuem Leben erweckt. Dass derselbe Film erst vor eineinhalb Jahren, wenn auch mit anderer Musik und dem Filmorchester Babelsberg, am selben Ort lief, trug vielleicht zur recht übersichtlichen Zuschauerzahl bei.
Bis heute besticht Murnaus „Symphonie des Grauens“ mit fantastischen Einstellungen, Montagen und großartigen Außenaufnahmen – auch wenn der Vampir selber inzwischen schon drollig, fast sogar niedlich wirkt. Obwohl der Film weder Gewalttaten und schon gar keinen Mord direkt zeigt, wurde er zur Uraufführung in Berlin im Jahr 1921 mit einem Jugendverbot belegt. Als Filmregisseur arbeitet Murnau literarisch und musikalisch zugleich. Er kommuniziert mit Zeichen und Symbolen und spielt mit der Vorstellungskraft der Zuschauer. Murnau erweist sich als einer der ersten Meister des „Suspense“, der ansteigenden Spannung, die erst ganz zum Schluss aufgelöst wird.
Bis heute besticht die „Symphonie des Grauens“ mit außergewöhnlichen Einstellungen, schnellen Montagen und großartigen Außenaufnahmen. Als einer der ersten Regisseure verließ Murnau die Studios und drehte in der freien Natur. Dabei kreierte er fantastische Ansichten, die von einer zweiten Natur unter der sichtbaren Oberfläche der Welt künden. Aufnahmen von schroffen Bergen, sturmgepeitschten Wellen, Wetterleuchten am Wolkenhimmel, einem wilden Wolf zeigen „Naturbilder, in denen ein kalter Luftzug aus dem Jenseits weht“ (Béla Balázs). Der Vampir Nosferatu erscheint bei Murnau – wie in einer mittelalterlichen Moritat – als Personifikation des Todes. Er bringt die Pest. Mittelalterlich muten die Bürgerhäuser, der Brunnen und die Kirche in der fiktiven Hansestadt Wisborg an, in die das unbemannte Segelschiff einläuft. In diese behagliche Welt hält der Tod in Gestalt des transsilvanischen Grafen Orlok Einzug. Tagsüber schläft er in einem Sarg mit Muttererde, nachts mutiert er zum blutsaugenden Vampir. Nur das Blutopfer eines „sündenfreien Weibes“ kann die tödliche Vernichtung beenden.
Auf den rumänischen Namen Nosferatu war Murnau gekommen, um stoffliche Bezüge zu Bram Stokers „Dracula-Roman“ zu verwischen, was allerdings nicht vor Plagiatsprozessen mit verheerenden Folgen schützte. Zu dem erst Ende des 20. Jahrhunderts vollständig rekonstruierten Film komponierte José María Sánchez Verdú eine ebenso dezente wie prägnante Filmmusik. Ein erweitertes Kammerorchester mit Blechbläsern, Harfe, Schlagwerk, Windmaschine und einem Gesangsensemble hüllen den Film in ein dichtes, aber transparentes Gewebe. Die Musik nimmt das unheimliche, untergründige Raunen mit vielen Mitteln auf: Tremoli und Flageoletts zittern und pfeifen, hohl klappert col-legno-Spiel auf den Saiten, wie warnende Nachtvögel klingen die Rufe der Holzbläser, wie Fanale die gestopften Trompeten.
Die – vom Band – eingespielten Stimmen von sechs Sängerinnen – erinnern an Naturgeister, die kommendes Unheil ankündigen. Selbst wenn die Musik auf Höhepunkte zusteuert, wirkt sie nie aufdringlich, sondern haucht dem Film faszinierende neue Lebensgeister ein. Babette Kaiserkern
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