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Von Dirk Becker: Die Zerrissenheit der Seele Der Auftakt der Potsdamer Hofkonzerte

Es war ein ungewöhnlicher Zeitpunkt für einen musikalisch-literarischen Höhepunkt. Am Samstagvormittag, um 11 Uhr, hatten die Potsdamer Hofkonzerte Sanssouci in den Palmensaal der Orangerie im Neuen Garten eingeladen.

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Es war ein ungewöhnlicher Zeitpunkt für einen musikalisch-literarischen Höhepunkt. Am Samstagvormittag, um 11 Uhr, hatten die Potsdamer Hofkonzerte Sanssouci in den Palmensaal der Orangerie im Neuen Garten eingeladen. Klaus Manns Tschaikowsky-Roman „Symphonie Pathétique“ stand auf dem Programm. Gelesen in Auszügen von Ulrich Noethen, begleitet von Hideyo Haradaam am Klavier. Obwohl „gelesen“ und „begleitet“ hier die falschen Worte sind.

Schauspieler Ulrich Noethen las nicht einfach nur diesen Roman über den bekannten russischen Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, den Klaus Mann als einen unsicheren, seelisch zerrissenen, am Leben leidenden Menschen beschrieb. Tschaikowskys Besuch in Leipzig, wo er auf den in Deutschland zu seiner Verwunderung förmlich vergötterten Brahms trifft. Die Affäre mit der Sängerin Désirée Artot, die kurze und so katastrophale Ehe mit Antonina Miljukowa, seine Gönnerin Nadeschda von Meck, die ihm nach Jahren unter fadenscheinigen Begründungen die finanzielle Unterstützung entzieht. Tschaikowskys niedergehaltene Homosexualität, seine unbegreifliche Liebe zu seinem Neffen Wladimir, genannt Bob, dem er seine letzte Sinfonie, die„Pathétique“ widmet – all das schuf Noethen mit seiner Stimmen, den leichten Betonungen, den wohl gesetzten Pausen zu einem lebhaften Schauspiel, das lebendig wurde vor den Augen der Zuhörer.

Und Hideyo Harada begleitete nicht einfach nur. Sie zeigte mit ihrem klaren, so verständlichen Spiel die andere Seite dieses verstörten und so verunsicherten Menschen Tschaikowsky, der nicht an die Möglichkeit der Liebe glauben wollte, in seiner Musik aber einen Kosmos von Gefühlen und zartesten Seelenlandschaften schuf, der seinesgleichen sucht. Ein Großteil des musikalischen Programms bestand aus Auszügen von Tschaikowskys „Die Jahreszeiten“. Und hier zeigte Hideyo Harada, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes eine Künstlerin am Klavier ist.

Keine Effekthascherei, keine überbordenden Gesten einer vor allem sich präsentierenden Tastenlöwin. Hier sprach der Komponist, melodieverliebt-harmonisch. Doch Hideyo Harada ließ unter dieser so schönen und so dünnen Oberfläche auch das Brüchige, Zerrissene in Tschaikowsky durchscheinen. Mal nur mit leichtesten, kaum hörbaren Klangtupfern, mal mit dem ausholenden, so farbenfrohen Pinselstrich. Immer stimmig, immer ein respektvolles, offenlegendes Innerstes. Musikalische Gefühlsausbrüche, die sich Tschaikowsky im wahren Leben nie erlaubt hätte, die an diesem Samstagvormittag im fast ausverkauften Palmensaal unter den Händen von Hideyo Harada zu einem Erlebnis wurden.

Am Vorabend im Schlosstheater am Neuen Palais wurden mit einem Jubiläumskonzert die 20. Potsdamer Hofkonzerte Sanssouci eröffnet. Barbara Heidenreich, Begründerin und Organisatorin der Hofkonzerte, hatte mit Musik von Johann Sebastian Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Carl Maria von Weber und Friedrich II. höchstpersönlich ein Programm zusammengestellt, das deutliche Bezüge zum preußischen Hof suchte. Sowohl Vater Bach als auch sein Sohn waren Gast am preußischen Hof in Potsdam, Webers „Freischütz“ wurde 1821 unter dessen Leitung in Berlin uraufgeführt.

Das Ensemble Preußens Hofmusik unter der Leitung des Violinisten Stephan Mai gab sich preußisch zackig, voller Spiellust und prächtiger Harmonie, dass selbst eine Dilletantenkomposition wie Friedrichs Sinfonie Nr. 3 in D-Dur zu einem kleinen Spektakel wurde. Mit Webers Klarinettenquintett in B-Dur mit Mathias Glander und Carl Philipp Emanuel Bachs Konzert für Flöte und Streicherin d-Moll mit Claudia Stein als Solisten dann rasante Virtuosenmusik, hier akzentuiert und auch sehr reizvoll präsentiert. Doch der wahre Höhepunkt dieses Eröffnungswochenendes der Potsdamer Hofkonzerte folgte erst am nächsten Tag mit zwei herausragenden Meistern ihres Faches, Hideyo Harada und Ulrich Noethen.

Dirk Becker

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